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Allein nicht die Ostsee steigt, sondern nur ein Theil derselben, und sowie das Wasser 
im finnischen Meerbusen sich erhebt, wird es an den Küsten von Preußen, Mecklen¬ 
burg und Dänemark sinken, und wenn es an denen von Dänemark steigt, wird der 
bothnische und finnische Meerbusen weniger haben; letzteres geschieht bei einem an¬ 
haltenden Westwinde, ersteres bei einem dergleichen Ostwinde. 
Vermöge der abgeschlossenen Lage, von der Nordsee abgeschnitten, hat die 
Ostsee ?eine Gezeiten, keine Ebbe und Fluth; vermöge ihrer engen Umgrenzung 
und ihrer eigenthümlichen Forin, die aus lauter Armen zu bestehen scheint, ist der 
Wellenschlag auf ihr kurz und hoch; noch mehr wird derselbe gebrochen und un¬ 
regelmäßig gemacht durch die vielen Inseln, welche darin zerstreut liegen, und die 
im bothnischen Meerbusen so dicht gesäet sind, als nirgends, wodurch derselbe mit 
grünen Flächen, baumreichen Gefilden und freundlichen Ortschaften gleichsam durch¬ 
webt erscheint. 
Im Vergleich zu den übrigen Meeren hat die Ostsee nur eine geringe Tiefe, 
an den meisten Stellen nur 50 bis 100 Fuß, fast nie über 200 Fuß. Der 
Uferrand der Küste dacht an den meisten Stellen so flach ab, daß ein erwachsener 
Mensch 200 Schritt in die See hineingehen kann; daher bietet die Küste treffliche 
Badestellen. 
An der deutschen Küste der Ostsee begegnen wir der merkwürdigen Dünen - 
bildung, die außerdem in Europa noch an der Nordsee und am atlantischen Meere 
von besonderer Bedeutung ist. 
Die Dünen sind Sandwälle, durch die Meereswellen an die flachen Küsten ge¬ 
spült. An allen flachen Küsten nämlich brandet das Meer, die Wellen rollen gegen 
das Ufer heran und stürzen viel weiter auf das Ufer hinauf, als der Meeresspiegel 
reicht. Was sie in dieser Bewegung mit sich führen, ist feiner Sand. Derselbe 
bleibt auf dem Ufer liegen, und die Wellen tragen immerfort zu, nehmen zwar 
rückfallend auch wieder etwas mit sich; da jedoch die rücklaufende Welle viel weniger 
Kraft hat, als die hoch aufgethürmt ansteigende, so bleibt doch mehr liegen, als zurück¬ 
geführt wird. Ueberdies führt auch der Wind den an der Sonne bald trockenen 
Sand weiter landeinwärts, so daß bald ein Sanddamm entsteht, der das anliegende 
Tiefland gegen die Meeresfluthen schützt. Dieser Sand ist aber nicht unfruchtbar, 
denn er hat eine Menge thierischer und Pflanzenstoffe, und wenn er auch mager 
bleibt, so wächst doch der Sandhafer, ja auch die Birke und die Föhre darauf; 
immer von Neuem leicht mit Sand überführt, genügt doch ein erfrischender Regen, 
um die Spitzen des Grases durch die neue Lage zu treiben und sie zu befestigen; so 
entstehen nach und nach Hügelketten von 20 bis 50 Fuß Höhe. Diese oft 1000 und 
mehr Fuß breiten Dämme übersteigt das Meer nicht. Vor dem Dünendamme bildet 
aber das Meer bald eine neue Reihe von Hügeln, die bald einen ähnlichen mit 
Dünen-Gras bewachsenen Damm bilden, und dies wiederholt sich noch öfters. So 
hat z. B. der Strand von Swinemünde schon viele Reihen von Dünen, welche 
nach und nach das Meer über eine halbe Meile weit zurückgedrängt haben. Die 
größte Ausdehnung und Höhe zeigen die Dünen in den gebirgsartigen Strecken der 
frischen und der kurischen Nehrung zwischen Elbing, Königsberg und Memel. Die 
frische Nehrung, vor welcher die eine Hälfte der Weichsel ein Süßwassermeer, das 
frische Haff, bildet, hat eine Dünenhöhe von fast 200 Fuß, und die Dünen bilden 
mitunter einen so schroffen Bergrücken, daß man erstaunt, wie der leicht rollende 
Sand in solcher Lage hängen bleibt; ein großer Theil dieser Nehrung ist stark mit 
Kiefern bewaldet. 
Dieselbe Bildung wiederholt sich bei der kurischen Nehrung; allein hier hat man 
den Wald abgeholzt, und dadurch ist der Sand fliegend geworden und hat die Men¬ 
schen aus ihren Sitzen vertrieben. Das Haff versandet, das weithin in die Wasser¬ 
fläche wuchernde Schilf droht einen ungeheuren Sumpf zu bilden, der Fischfang ist 
beeinträchtiget, umsonst hat man alle möglichen Anstrengungen gemacht, durch Sand¬ 
hafer, Weiden und Schlinggewächse die Hügel wenigstens zu verweben. Ein Dorf 
nach den, andern ist verschwunden, und es sind jetzt auf der sonst stark bewohnten 
Nehrung von 15 Meilen Länge nur noch drei Dörfer. 
Soweit der Sand durch das Meerwasser benetzt wird, ist derselbe so fest, daß 
man ihn als Chaussee benutzt; man fährt leicht und in raschem Trabe darauf. An 
manchen Stellen aber tritt der gefürchtete „Triebsand" auf. Wo er erscheint, ver¬ 
sinken plötzlich Menschen, Thiere und Wagen, ohne daß man im Stande ist, davon eine 
Spur wiederzufinden. Im Winter ist der Charakter der Ostseeküsten ein auffallend 
wüster und wildert, besonders im nördlichen Theile des Meeres. Alles ist eine endlose
	        
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