Full text: Enthaltend die erste, zweite und dritte Stufe: Heimath, Preussen, Deutschland (Theil 1)

31 
führen das Schwert, die Andern die Feder u. s. w. Der Weg zum 
Ziele ist länger und schwerer bei dem Einen als bei dem Andern. Die 
aber, welche einmal Aerzte oder Richter oder Pfarrer oder Lehrer an 
hohen Schulen werden wollen, die müssen selber erst als Schüler in solch 
einer Schule, einem Gymnasium, viele Jahre fleißig lernen; und haben 
sie hier das Ziel erreicht, so gehen sie aus eine Universität und wer¬ 
den Studenten, und treiben hier das Werk weiter, bis sie fähig und 
tüchtig geworden sind, ein Amt zu bekleiden in genannter Weise; da sagt 
man denn von ihnen: sie haben studirt. Solch' eine Universität nun ist 
in Halle; es ist dazu mitten in der Stadt ein schönes, großes Haus 
gebaut, darin versammeln sich die Jünglinge in großen Sälen und hören 
die Vorträge der Lehrer, der Professoren. Die Universität hat durch 
ihre Lehrer seit alten Zeiten einen großen Ruhm. — Ein anderes großes 
und schönes Gebäude und ein nicht geringerer Ruhm der Stadt ist daß 
Waisenhaus in der Vorstadt Glaucha. Das ist von einem frommen 
Pastor August Hermann Francke erbaut. Es erbarmte ihn der armen 
Kinder der armen Leute und der Waisen, daß sie so ohne Zucht und Lehre 
und Liebe aufwuchsen, und so gab er denen, die je an einem Tage der 
Woche zu ihm kamen und bettelten, nicht blos etwas an Brod und Geld, 
sondern lehrte sie auch einen Spruch oder Vers und hielt darüber mit 
ihnen ein Gespräch, schenkte auch den Eltern ein Schulgeld, daß sie ihre 
Kinder in die Schule schicken könnten. Aber das war ihm nicht genug, 
half auch wenig, er wollte gern mehr thun. Nun hatte er aber selber 
wenig, und seine Mittel reichten nicht aus, mit Vielem zu helfen. Da¬ 
rum hängte er in seiner Stube eine Büchse aus mit der Ueberschrift: 
1. Joh. 3 ,17: Wenn aber Jemand dieser Welt Güter hat und sieht sei- 
nen Bruder darben und schließt sein Herz vor ihm zu, wie bleibet die 
Liebe Gottes bei ihm? und mit der Unterschrift: 2. Cor. 9, 7: Ein jeg¬ 
licher nach seiner Willkür, nicht mit Unwillen oder aus Zwang; denn 
einen fröhlichen Geber hat Gott lieb. Und wer dann zu ihm kam, der 
that ein Stück Geld hinein, viel oder wenig, nachdem er's hatte oder das 
Herz ihn trieb. Da fand er einmal sieben Gulden in der Büchse; da 
rief er frohlockend aus: Das ist ein ehrlich Kapital, davon muß man 
etwas Rechtes stiften; ich will eine Armenschule damit anfangen. Und 
so ist, zwar unter beständiger Bedrängniß, aber auch unter hundertfachen wun¬ 
derbaren Beweisen göttlicher Hülfe und Erhörung gläubigen Gebetes das 
Waisenhaus erbaut worden, und bald kam dazu die Freischule, dann das 
Pädagogium, die Bürgerschule, die lateinische Schule, die Realschule, es 
wurde eine besondere Waisenhausbuchhandlung und Apotheke gestiftet, ein 
frommer, tüchtiger Arzt berufen und eine Bibeldruckerei mit der Anstalt 
verbunden, die ein andrer frommer und begüterter Mann und Francke'ö 
Freund gegründet, Namens von Canstein. So großer Segen ist über 
die Stadt und das Land gekommen durch Eines Mannes, eines armen, 
aber frommen Mannes Sorge und Liebe und Gebet und Arbeit. Das 
Gebäude, auf einem freien Platze gelegen, hat in der Front 3 Stock, 15 
Fenster in einer Reihe, über dem Eingang ist die Inschrift zu lesen: 
Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren mit
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.