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taste, wetteiferten, nach einem höheren Ente zu ringen! Aus dieser Ge¬
müthswelt sind als herrliche Blüthen edler Humanität die Romantik
und das Ritt er wesen hervorgegangen, dessen tapferer Arm sich in den
meisten Reichen bestimmte Rechte und Privilegien errang. Es sind dem¬
nach die wichtigsten Erscheinungen dieser Periode: die Kreuzzüge, der
Kampf der römischen Päpste mit den Kaisern, das Ritter-
wesen und die Romantik, und, was den Uebergang bildete zu der
Periode des erwachenden Verstandes — die Scholastik, von der am Ende
dieses Abschnittes die Rede sein soll.
H. 2. Der erste Kreuzzug.
Es war um's I. 1095, als Peter von Amiens, der Einsiedler,
von Jerusalem zurückkehrte, erfüllt von der äußersten Erbitterung gegen
die Ungläubigen, welche das Grab Christi entweihten und die frommen
Pilger mißhandelten, welche seit einem Jahrhunderte dahin zogen. Die
Chalifen von Bagdad hatten im Gefühle ihrer Schwäche, am
Ende des vorigen Zeitraumes das barbarische Volk der Seldschuckischen
Türken in ihr Reich aufgenommen und sich ihrer als Kriegsleute bedient.
Diese Türken bekannten sich zur Lehre Muhamed's und wurden am Hofe
der Chalifen bald so mächtig, daß allmälig die Regierung in ihre Hände
überging. Auch der Statthalterschaften bemächtigten sie sich; einzele Statt¬
halter herrschten als unabhängige Sultane in den Provinzen. Das war
auch der Fall mit Palästina, wo jene Türken die Araber verdrängten und
nach ihrer Weise in dem schon so herrlich bebauten Lande verheerend und
verwüstend hausten, denn sie hatten nur die Religion der Araber, nicht
zugleich deren friedlichen Sinn angenommen. Auch die daselbst wohnenden
Christen — seit Constantin des Großen Zeiten bestand eine christliche Ge¬
meinde zu Jerusalem, mit einem Patriarchen an der Spitze, der über alle
Gemeinden des Landes die Aufsicht hatte und des Ortes wegen, wo er seinen
Sitz hatte, bei der ganzen Christenheit in großem Ansehen stand — erfuhren
manche Kränkungen und Verfolgungen. Die Pilger aus Europa wurden von
den Barbaren angefallen, ausgeplündert, nicht selten erschlagen, oder in schmach¬
volle Sklaverei geschleppt. Solches hatte Peter von Amiens mit Augen
gesehen und Vieles selbst erduldet; er erzählte dem Papste Urban 1Í. bei
seiner Heimkehr davon. Gerade zu dieser Zeit hatte auch der griechische
Kaiser Alexis Comnenus Gesandte an den Papst und an die Fürsten
des Abendlandes geschickt, und von ihnen Hilfe gegen die Türken erfleht,
welche schon Klein - Asien erobert hatten und Constantinopel bedrohten.
Urban ll., ein Mann, der Hildebrand's Herrschsucht und Klugheit hatte,
nahm die Gelegenheit wahr, theils die Augen der Fürsten und aller Christen,
die scheel auf die wachsende Macht der Päpste blickten, auf einen anderen
Gegenstand hinzulenken, theils die griechich-katholischc Kirche wieder unter
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