Full text: Der sächsische Kinderfreund

72 
Ablaß." Immer ließ er zwei große Kasten vor sich her tragen; in dem 
einen befanden sich die Ablaßbriefe, in dem andern das dafür erhaltene 
Geld. Natürlich hatte er einen großen Zulauf, weil für jede Sünde 
ein gewisser Preis festgesetzt war, und weil auch der schlechteste Mensch 
die Gnade Gottes sich erkaufen zu können meinte. Ein Kirchenraub 
und Meineid kostete 9 Ducaten, ein begangener Mord 8 Ducaten, für 
die Erlösung einer Seele aus dem Fegfeuer brauchten arme Personen 
nur einige Groschen zu geben. Dabei befand sich Niemand besser als 
Tetzel selbst; denn er bekam für seine Arbeit monatlich 20 Goldgülden, 
das Stück über 2 Thaler, und außerdem freie Kost. Gewiß eine sehr 
große Einnahme zu einer Zeit, wo der Scheffel Korn 5 Groschen und 
die Kanne Wein 2 Pfennige galt. Traf seine Kasse ein Verlust, so 
mußte ihn der Papst tragen. Das geschah, als Tetzel einmal von 
Leipzig nach Jüterbogk reiste. Unterwegs wurde er von einem Edel¬ 
manne angefallen, durchgeprügelt und seines ganzen Geldes beraubt. 
Er mußte sich dieses ruhig gefallen lassen, denn der Räuber hat ihm 
in Leipzig schon im Voraus einen Ablaßbrief für 30 Thaler abgekauft 
und war mithin von jeder Strafe befreit. 
Fortsetzung. 
Tetzel hatte die Städte Dresden, Pirna, Leipzig, Naum¬ 
burg, Meißen, Annaberg, Chemnitz, Freiberg u. s. w. be¬ 
sucht und gute Geschäfte gemacht. In Freiberg brachte er binnen zwei 
Tagen 2000 Gulden zusammen. Äm Jahre 1517 langte er auch in 
Jüterbogk an, einem Städtchen unweit Wittenberg. Viele Be¬ 
wohner gingen aus dem letzteren Orte nach Jüterbogk, um sich Abla߬ 
briefe zu kaufen. Darauf kamen sie zu Luther in den Beichtstuhl und 
verlangten die Absolution, d. h. die Freisprechung von den Sünden¬ 
strafen im Namen Gottes. Luther, welcher bemerkte, daß sie keine 
Reue über ihre Sünden und keinen wahren Glauben bezeigten, absol- 
virte sie nicht, weßhalb sie zu Tetzel gingen und das Geld für die ge¬ 
lösten Ablaßbriefe zurückforderten. Tetzel ward darüber zornig. Luther 
aber machte sich wenig daraus, sondern predigte, es wäre besser, armen 
Leuten ein Almosen zu geben nach Christi Befehl, als solche ungewisse 
Gnade um Geld zu kaufen; wer Buße thue sein Leben lang und be¬ 
kehre sich zu Gott vom ganzen Herzen, der bekomme die himmlische 
Gnade und Vergebung aller Sünden, die uns der Herr Christus durch 
sein Opfer und Blut erworben habe und ohne Geld aus lauter Gnade 
anbiete. Tetzel, darüber noch mehr erbittert, ließ etliche Male ein 
Feuer aus dem Markte in Jüterbogk anzünden und drohte, die Ketzer, 
die sich wider den Papst und seinen Ablaß setzen würden, zu ver¬ 
brennen. Dieß veranlaßte Luthern, weiter über die Lehre von der
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.