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Geschichte.
weil sie seinen Lüsten und Leidenschaften sich entgegenstellte. Er
verstieß seine erste Gemahlin Katharina, mit der er schon 20 Jahre
lebte, um Anna Bolehn zu heirathen. Der Papst wollte nicht in
die Ehescheidung willigen; der König trennte sich aber eigenmächtig
von seiner Frau und nahm die Anna. Als darauf der Papst
über ihn den Bann aussprach, sagte er sich völlig von ihm los
und machte sich selbst zum Oberhaupte der englischen Kirche. Wo
er nur den geringsten Widerstand fand, brauchte er Gewalt. Der
edle Kanzler Morus und der Bischof von Rochester wurden
enthauptet, weil sie seine zweite Ehe nicht als gültig, noch ihn
als geistliches Oberhaupt anerkennen wollten. Er machte eine
Religion nach eigenem Gutdünken, die sich eben so sehr von den
lutherischen als katholischen Glaubenssätzen entfernte, und drohte
Jedem, welcher sich einem oder dem andern Glaubenssätze wider¬
setzen würde, die härtesten Strafen. Dann hob er die Klöster
und Stifter auf und theilte sich mit seinen Günstlingen in die
reiche Beute. Nach drei Jahren ließ er Anna Bolehn enthaupten,
um sich mit einer dritten Frau zu vermählen. Diese starb schon
im folgenden Jahre, und Heinrich dachte gleich wieder an eine
neue Heirath mit der Tochter 'des Herzogs von Kleve. Diese
schickte er bald nach der Hochzeit dem Vater zurück und nahm
eine fünfte Frau, die er im zweiten Jahre öffentlich- hinrichten
ließ. Erst die sechste überlebte ihn. Mit zunehmendem Alter
nahm auch sein Mißtrauen und seine Grausamkeit zu; viele
angesehene Personen fielen als Opfer derselben.
Nach Heinrich regierte zunächst sein zehnjähriger Sohn
Eduard. Diesem folgte seine Schwester Maria, welche katho¬
lisch war. Sie begann auf eine zu harte Weise die Wiederher¬
stellung der katholischen Kirche; denn sie glaubte, daß alle Unruhen
und Empörungen im Lande von den Neuerungen herrührten. Sie
hinterließ die Krone ihrer Schwester Elisabeth.
Unter der Regierung dieser Königin stieg England zu einer
bedeutenden Größe. Elisabeth war mit ungemeinen Fähigkeiten
begabt. In ihrer Handlungsweise zeigten sich aber unter manchen
Tugenden auch viele Fehler. Gegen das gemeine Volk war sie
leutselig und herablassend. Leute aus den niedrigsten Ständen
hatten zu allen Zeiten freien Zutritt zu ihr. Sie nahm ihre Bitt¬
schriften wohlwollend an und unterhielt sich freundlich mit ihnen,
so daß jeder voll Bewunderung seine.Königin verließ. Gegen den
Adel dagegen trat sie mit stolzer Würde auf, um ihm ihre Hoheit
recht fühlbar zu machen. Von dem Gepränge, mit welchem sie
sich öffentlich zeigte, erzählt ein Augenzeuge, wie sie sich eines
Sonntags aus ihren Gemächern in die Kapelle begab: „Zuerst
erschien eine Menge Edelleute, Grafen und Ritter; dann kam der