Full text: Lesebuch für die obere Klasse katholischer Stadt- und Landschulen

Die Befreiungskriege. 
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die Hand der Erzherzogin Marie Louise, der Tochter desjenigen 
Kaisers, dem er kurz vorher die Hälfte seiner Staaten entrissen 
hatte. Der gebeugte Kaiser brachte, wenngleich mit schwerem 
Herzen, der Hoffnung des Friedens auch dieses Opfer. 
¿0- Die Befreiungskriege. 
Als der Kaiser Alexander überzeugt war, daß eS Napoleon 
doch nicht redlich mit ihm meinte, söhnte er sich mit England aus 
und bot Schweden einen Ersatz für Finnland an. Darüber 
ergrimmte Napoleon und ließ in allen ihm ergebenen Ländern 
rüsten. Selbst Oesterreich und Preußen mußten Theil nehmen. 
Nie sah Europa ein größeres und schöneres Heer. Ueber 500,000 
Mann Franzosen, Oesterreicher, Preußen, Bayern, Sachsen, 
Würtemberger, Badener, Westphalen, Holländer, Italiener und 
Polen, mit allem reichlich versehen, traten den Kriegszug an. 
Der Untergang des russischen Reiches schien gewiß zu sein, da 
es Anfangs nur 200,000 Mann entgegenstellen konnte. 
Der französische Kaiser drang mit der Hauptmacht auf Mos¬ 
kau los und ließ einzelne Abtheilungen gegen die Ostsee und in 
russisch Polen vordringen. Die Russen zogen sich vor ihm zurück 
bis Smolensk, wo es zu einem hitzigen Treffen kam. Die 
Stadt brannte ab; die Russen wichen weiter zurück, und Kutu- 
s o w wurde zu ihrem Oberbefehlshaber ernannt. Bei B o r o d i n o 
an der Moskwa, 14 Meilen von der alten Hauptstadt, machteer 
endlich Halt. Die Ehre des Reichs schien eine Schlacht zu for¬ 
dern. Da rief Napoleon frohlockend: „Soldaten, hier ist die 
Schlacht, die ihr ersehnt habt! Sie ist nothwendig, denn sie 
bringt uns Ueberfluß, gute Winterquartiere und sichere Rückkehr 
nach Frankreich. Benehmet euch so, daß die Nachwelt von jedem 
unter euch sagen kann: Auch er war in der großen Schlacht unter 
den Mauern von Moskau!" Am 7. September 1812 wurde 
die große Schlacht geliefert, in welcher 25,000 Menschen das 
Leben verloren. Man stritt von beiden Seiten mit beispielloser 
Erbitterung. Endlich trat Kutusow den Rückzug an und wollte 
lieber Moskau preisgeben als eine neue Schlacht liefern. Mit 
niedergeschlagenen Blicken, zusammengerollten Fahnen und ohne 
Trommelschlag zogen die russischen Krieger durch die stille Haupt¬ 
stadt, der größte Theil der Bevölkerung mit ihnen. 
Am 14. September erblickten die Franzosen von der Höhe 
eines Berges die ehrwürdige Stadt und der Freudenruf „Moskau! 
Moskau!" durchlief die Reihen. Die Thürme von 300 Kirchen- 
und deren goldene Kuppeln funkelten im Scheine der Sonne; 
schöne Paläste ruheten zwischen Gärten, und erhaben ragte der
	        
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