Full text: Die Vaterlands- und Weltkunde (Theil 2)

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zuführen, so heißt er Tiefsinn; und wenn er die nicht leicht zu bemerkenden 
Ähnlichkeiten verschiedener Dinge schnell auffindet, so wird er Wiß genannt. 
5. Unsere Seele hat aber auch das Vermögen, Gedanken hervorzubringen 
und aufzunehmen, welche nicht zur Sinnenwelt gehören. Was recht und 
unrecht, würdig und unwürdig, gut und böse, heilig und unheilig 
ist, kurz, die Religion und alle ihre Wahrheiten und Forderungen gehören 
nicht zur sinnlichen, „sondern zur übersinnlichen Welt. Das Ver¬ 
mögen der Seele, das Übersinnliche wahrzunehmen, nennt man Ver¬ 
nunft. — Vermöge seiner Vernunft ist der Mensch fähig, sich über die- Kör> 
perwelt zu einer höhcrn, unsichtbaren, geistigen Welt, zu Gott zu erheben 
und ihn als die erste und einzige Ursache aller erschaffenen Dinge zu 
erkennen. — Verstand und Vernunft nennt man auch das Denkvermögen, 
und zwar den Verstand das niedere, die Vernunft das höhere Denkvermögen. 
Das Anschauungs- und Vorstellungsvermögen, das Gedächtniß, 
der Verstand und die Vernunft bilden zusammen das Erkcnntnißvcrmögen 
des Menschen. 
6. Unsere Seele hat aber nicht bloß Kräfte zum Erkennen, sondern wir 
werden auch in uns Bestrebungen oder Antriebe zum Handeln gewahr, 
welche ihren Ursprung in unseren Gefühlen haben; die Bestrebungen der 
Menschen sind aber verschiedener Art. Vermöge ihrer sinnlichen Natur streben 
sie nach dem Angenehmen; sinnliches Wohlsein ist für den Sinn¬ 
lichen oder Fleischlichen das Ziel aller seiner Bestrebungen und Handlungen. 
Die Sinnlichkeit aber hat der Mensch mit'den Thieren gemein. Der 
Mensch ist fähig, auch das geistig Angenehme zu empsinden, ein Wohl¬ 
gefallen zu finden am Wahren und Schönen, an Regelmäßigkeit und 
Ordnung, an dem, was groß, erhaben und gut ist, dagegen ein Mi߬ 
fallen an Allem, was ordnungslos und unregelmäßig, unedel und 
geschmacklos, irrig und unwahr, niedrig, häßlich und böse ist, und 
dieses bildet seine Sittlichkeit. Ruhm, Vortheil, Reichthum, Geiz, 
Neid, Haß, Rache, Furcht, desgleichen Mitleid, Wohlwollen, Liebe, 
Treue, Dankbarkeit, Frömmigkeit u. s. w. sind Triebfedern, 
welche den Menschentum Handeln bestimmen können. 
7. Es ist aber nicht einerlei, was uns zum Handeln antreibt, und was 
für Handlungen wir ausüben. Gott pstanzte in unser Inneres das Gewissen, 
welches uns zuruft, unsere Handlungen nach dem zu bestimmen, was wir als 
gut und recht erkannt haben Es treibt uns an, immerfort an unserer sittlichen 
Vervollkommnung zu arbeiten, unsern Willen immer mehr zu heiligen und 
uns des Wohlgefallens Gottes stets würdiger zu machen. Die Stimme 
des Gewissens fordert uns auf, für das Glück unserer Nebenmenschen zu 
sorgen, gegen sie so zu handeln, wie wir wünschen, daß siegegen 
uns handeln möchten, und ihnen das nicht zu thun, wovon wir 
wünschen, daß es uns nicht geschehe. Wohl uns, wenn wir immer 
der Stimme des Gewissens folgen; denn wir handeln alsdann stets nach dem 
Gebote der Gottes- und Nächstenliebe und haben ein gutes Gewissen. 
Das gute Gewissen erfüllt uns mit Ruhe und Zufriedenheit das böse 
Gewissen aber mit Unruhe und Furcht. 
8. Der Mensch hat einen freien Willen, d. h.: er kann, ohne von Nei¬ 
gung und Lust oder ohne von irgend einem äußern Zwange genöthigt 
zu werden, ja selbst gegen Neigung und Lust und jeden Zwang, sich selbst 
bestimmen, eine That zu wollen und zu vollbringen oder zu unterlassen. 
Keine Macht kann ihn zum Bösen zwingen, wenn er nicht selbst sich dazu 
entschließt. Ohne diesen freien Willen wäre der Mensch keiner Zurechnung, weder 
einer sittlich guten, noch einer bösen That fähig. Nur der sittliche Mensch 
bewahrt diese Gabe Gottes unversehrt, nur er ist wahrhaft frei; der bloß 
sinnliche Mensch hat seine wahre Freiheit eingebüßt, er ist ein Sklave
	        
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