Full text: Ein Lese- und Lehrbuch für obere Klassen der Volksschulen (Theil 4)

Sündeü und Krankheit, einen verheerten Körper, eine 
verödete Seele, die Brust voll Gift und ein Alter voll 
Reue. Seine schönen Jugendtage gingen vor seiner Seele 
vorüber. Besonders gedachte er in schmerzlicher Erinnerung 
jenes Morgens, an dem er das elterliche Hans hoffnungs¬ 
voll verlassen hatte, um sich für seinen künftigen Beruf 
Kenntnisse zu sammeln. An diesem Tage hatte ihn der 
Vater vor allem mit seiner Bestimmung und den vielen 
Gefahren des Lebens bekannt gemacht, hatte ihm gezeigt 
den Weg der Tugend, der unter Mühen und Beschwerden 
zum Glücke, ins Land des Friedens und der Engel sührt; 
aber auch den Weg des Lasters, der durch trügerische 
Lockungen und Reize ins Verderben, in den Abgrund voll 
Qual und Elend stürzt. Den verführerischen Weg des Ver¬ 
derbens war er gewandelt, hatte seine Seele, dies Eben¬ 
bild seines Gottes entweihet und befleckt durch allerlei schänd- 
licheLaster, indem er sich seinen bösenund zügellosen Begierden 
überlassen und dadurch immer tiefer in den Abgrund unab¬ 
sehbaren Unglücks gerathen war. Alle die verübten Greuel 
und Ausschweifungen fehrten nun wieder vor seine hoff¬ 
nungslose Seele; wie zischende Schlangen nagten sie an 
seiner Brust, wie Gifttropfen hingen sie an seiner Zunge; 
er litt die schmerzlichsten Qualen. 
Mit unaussprechlichem Grame rief er zum Himmel hin¬ 
auf: Gib mir meine Jugend wieder! O Vater! stelle mich 
wieder auf den Scheideweg, damit ich anders wähle! 
Aber sein Vater und seine Jugend waren längst dahin. 
Er sah Irrlichter auf Sümpfen tanzen und auf dem Got¬ 
tesacker erlöschen, und er sagte: Es sind meine thörichten 
Tage. — Er sah einen Stern aus dem Himmel fliehen und 
im Falle schimmern und auf der Erde zerrinnen: Das bin 
ich, sagte sein blutendes Herz, und die Schlangenzähne der 
Reue gruben tiefer ein in seine Wunden. 
Tie Einbildungskraft zeigte ihm schleichende Nachtwand¬ 
ler auf den Dächern, und eine Windmühle hob ihre Arme 
drohend zum Zerschlagen auf, und im leeren Todtenhause 
nahm eine zurückgebliebene Larve allmählig seine Züge an. 
Mitten in seine Angst floß plötzlich die Musik für das 
Neujahr vom Thurme hernieder wie ferner Kirchengesang. 
Er wurde sanfter bewegt, er schauete nach dem Himmel 
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