Full text: Neuer christlicher Kinderfreund

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Kraft gebe, über meine sinnlichen Begierden oder, wie eS 
die Schrift nennt, mein Fleisch zu herrschen, und mich wie¬ 
der zu erneuern zu dem Ebenbilde DeS, der mich geschaffen 
hak. Wenn ich an ihn glaube und von Herzen mich ihm 
ergebe, so erlange ich den Vorzug wieder, der mich am 
meisten auszeichnet vor allen Geschöpfen der Erde, und waS 
an Vollkommenheit mir noch fehlt, das wird die Ewigkeit 
einst zur Reife bringen. 
Wenn ich nun noch einmal überdenke, wie wundcrbar- 
lich ich gemacht bin, und wie hohe Gaben mein Gott in 
meinem Leibe und meiner Seele mir verliehen hat, so muß 
ich seine Weisheit, Güte und Gnade wohl recht anstaunen; 
aber das thue ich noch mehr, wenn ich auch meinen Blick 
auf meine Mitmenschen werfe und da sehe, wie Gott 
mich mit diesen allen, und diese alle unter einander so wun- 
derbarlich zu.vereinigen gewußt hat. Da bemerke ich nun 
freilich zuerst, daß der Mensch, obgleich vaS vollkommenste 
unter allen Geschöpfen bet; Erde, doch bei seiner Geburt 
das hilfloseste unter allen ist. Wenn der Vogel auS dem 
Ei gekrochen ist, so dauert eS gar nicht lange, so versucht 
er schon seine kleinen Flügel, eilt seiner Nahrung nach, und 
findet sie. Aber wie viele Monate, ja Jahre vergehen, ehe 
daS neugeborne Kind ohne Beihilfe sich frei auf seinen Fü¬ 
ßen bewegen, und seinen Unterhalt sich selbst schaffen kann. 
Die meisten Thiere finden ihre Nahrung und ihre Wohnung 
von der Natur schon da zubereitet, wo sie daS Licht der 
Welt erblicken; der Mensch muß die Speise, die er genießen 
kann, daS Kleid, welches seinen nackten Leib bedecken, die 
Wohnung, welche ihn gegen die Einflüsse der Witterung 
schützen soll, an den meisten Orten der Erde mit vieler 
Mühe sich erst schaffen und zurichten. Diese seine natürli¬ 
che Hilflosigkeit und Bedürftigkeit aber hat der liebe Gott 
mit gutem Bedacht den Menschen zugetheilt. Sie ist es, die 
nicht allein ihm ein mächtiger Antrieb zur Thätigkeit wird, 
durch welche alle seine natürlichen Anlagen zu ihrer vollkom¬ 
menen Entwickelung kommen, sondern die auch einen Men¬ 
schen an den andern weiset, und so die große Verbindung 
unter den Menschen stiftet, welche man die menschliche 
Gesellschaft nennt. 
DaS hilflose Kind ist mit seinen unzähligen Bedürf¬ 
nissen zunächst an seine Eltern gewiesen, und Gott hat in 
die Herzen derselben jene uneigennützige aufopfernde Liebe 
gelegt, welche ihm willig Alleö darreicht, waS es in diesem
	        
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