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Dritte Stufe des Unterrichts.
bildete, die das Laster und die Ungerechtigkeit verabscheuen und die Wahrheit
und die Tugend durch ihn lieben lernten, ward er aus Neid und Bosheit als
ein Verführer des Volkes, der zugleich eine neue Religion einführen wolle,
angeklagt. Als seine Zünger klagten, daß er unschuldig sterben müsse: so
fragte Sócrates: „Wolltet ihr denn lieber, daß ich schuldig stürbe?"
Durch seinen sittlichen Ernst und seine Aufrichtigkeit war er zur Einsicht der
Wahrheit gekommen: Daß in jedem Menschenherzen die Lust zu allem Bösen
wohne, — daß der Mensch in eigener Kraft, ohne die Hilfe der, Götter, eben
so wenig tugendhaft sein, sonnig er die Zukunft vorher wissen könne, —
und daß darum endlich einer von den Göttern herabkommen und den Men¬
schen heilen müsse, wenn er genesen soll. — Ein Schüler des Sócrates war
Platon, der das ewig Gute, Wahre und Schöne geahnt und in zahlreichen
Schriften darzustellen gesucht hat. Ein andrer Schüler des Sócrates,
Zeno, verfiel auf die einseitige Richtung, daß man in sich das Gefühl für
Freude und Schmerz abtödten müsse, um eine stolze Unabhängigkeit gegen äußere
Begegniffe zu gewinnen und vollkommen glücklich zu sein. Die Anhänger dieser
Richtung nannte man Stoiker (Apg. 17,18).' Ein vierter Schüler des Sócra¬
tes, A n t i st h en e s, verfiel aukden Irrthum, daß das wahre Glück darin bestehe,
wenn man Nichts brauche, und wenn man sich auf das Allernothwendigste
beschränke. Da manche Anhänger dieser Richtung allen äußern Anstand ver¬
schmähten, nannte man sie Cyniker, d. h. Hunde. Einer von diesen, Dio¬
genes, besaß Nichts als einen Brotsack und ein Faß, in welchem er auf der
Straße von Athen wohnte. Er hatte sogar seine Trinkschale weggeworfen,
weil er darauf aufmerksam ward, daß die Hunde ohne ein Gefäß tränken.
Als diesen einst Alerander der Große vor seiner Tonne besuchte und ihm er¬
laubte, sich von ihm auszubitten, was er wolle, so begehrte Diogenes von
ihm, daß er ihm eüi Wenig aus der Sonne gehen möchte. Es gab jedoch
auch einen Philosophen Epikur (Apg. 17, 18), der durch seine Lehre die
Neigung zur Sinnlichkeit begünstigte. Er verwarf die Sünde und das Laster
nur deswegen, weil sie mit dem Wohlbefinden unvereinbar seien. Seine
Anhänger kehrten das Wohlbefinden in Wohlleben.
In dem langen peloponnesischen Knege, den der Uebermuth
der Athener hervorrief, und den die Bundcsgenoffenschaft von
Athen mit der peloponnesischen Bundesgenossenschaft, welcher
Sparta vorstand, führte, lahmten sich die beiden Staaten: Athen und
Sparta. In Sparta verlor sich der Sinn, dem Staate zu leben,
und es bildete sich die Neigung, sein eigenes Beßtes zu suchen
und ein eigenes Haus zu gründen; in Athen dagegen erhoben sich
neue Herren, die die bürgerliche Freiheit beschränkten. Jedoch
erhielt sich in Sparta die sittliche Kraft, und ihr Staatszustand
ha te eine längere Dauer. Auch gewann Sparta in Griechenland
wiederum den früheren Vorrang. Nebenher erhoben sich in Grie-
k