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erblickt man die blaue Gebirgswand von Judäa. Man sieht hier
allerlei Reisende in fremdartigen Trachten.: Beduinen mit dem weiten
Überwürfe von weißer Wolle; Armenier in langen, roth und weiß
gestreiften Röcken; Juden aus allen Theilen der Welt, ausgezeichnet
durch ihre langen Barte; Türken reiten stolz vorüber, und arme
Familien griechischer Pilger sitzen im Winkel einer Straße und spei¬
sen aus hölzerner Schüssel den Reis oder die gekochte Gerste. In
den Gärten gewahrt man offene Hütten oder Zelte, unter welchen
die Einwohner die schönsten Wochen der Frühlings- oder Herbstzeit
zubringen.
Eine sandige Straße zwischen Hecken von Cactus führt durch
die Ebene Sarvn zum Gebirg. Diese Ebene weidet aus ihrer unab¬
sehbaren Flüche viele Herden, besonders von Schafen. Während
des Frühlings gewährt sie einen entzückenden Anblick. Pa ist sie
ein Teppich von frischem Grün mit der buntesten Blumenpracht.
Tulpen, weiße und rothe Rosen, weiße und gelbe Lilien, Levkojen
und Immergrün sprossen ohne Pflege in diesem von Gottes Hand
gepflanzten Garten. Später im Jahre verwandelt sich die Ebene
m ein großes, reiches Kornfeld. Ist aber die Ernte eingethan, hat
der glühende Sonnenstrahl die Pflanzen versengt, so erblickt man
nur em nacktes, röthliches Erdreich, auf welchem stellenweise ein
Ölbaum mit seinem bleichen Laube oder eine Terebinthe mit ihrem
unbeweglichen Schatten sich erhebt.
Südlich von ihr liegt die Ebene Sephela, auch ein reiches
Fruchtland, das den Israeliten bestimmt war, aber im Besitze der
Philister blieb.
Man steigt aus der Ebene zum Gebirge Juda durch enge,
gewundene Thäler auf und nieder. Anfangs findet sich noch Holz,
Geißblatt und stachliches Strauchwerk, in welchem Füchse ein siche¬
res Versteck finden. Je weiter aber, desto ärmer wird die Pflan¬
zenwelt, desto steiniger und enger die Straße. Aschgraue Hügel,
zackige, über einander getürmte Felsblöcke, Dornen und Disteln zwi¬
schen den Felsspalten — die ganze Gegend eme traurige Öde. So
gelangt man über Emmaus auf die Höhe. Bald taucht eine mit Öl-
bäumen bekränzte Höhe aus: dies ist der Ölberg. Es erscheinen
hohe Türme, mächtige Kuppeln, breite Mauern, und allmählich
sieht man eine ganze Stadt sich ausbreiten. Sie hat nichts von
Größe, Pracht und Erhabenheit, was sie vor andern morgenländi¬
schen Städten auszeichnete; und doch ist etwas Unvergleichliches
in ihr: ein feierlicher Ernst, ein schwermuthsvotler Reiz ist über sie
ausgegossen: es ist Jerusalem, die gefeiertste unter allen Städten
der Erde.
2. Jerusalem. Welche Erinnerungen ruft dieser Name in
einem Chriftenherzen hervor, und welch eine herzerschütternde Sprache
reden diese Hügel, diese Steine, Mauern und Türme! Wer möchte
sie zählen, alle die Thränen, welche über diese Stätten geweint sind;
wer vermöchte zu sagen, wie viel Blut geflossen ist über die Steine
dieser Stadt und wie viel Flammenwogen sich über diese Hügel