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Deshalb kam der andere Wagen immer tiefer in den Hohlweg
hinein, und da keiner von beiden mehr ausweichen konnte, so
fuhr der Postillion geradewegs über den andern Wagen hinweg.
Damit aber dergleichen Unbequemlichkeiten nicht noch einmal
vorkommen möõchten, so nahm er alsbald wieder sein Horn zur
Hand und blies alle Lieder hinein, die er nur wußte; denn er
meinte, das Horn sei zugefroren, und er wollte es durch seinen
warmen Atem wieder auftauen. Allein es half alles nichts; es
war so kalt, dab kein Ton wieder herauskam.
Endlich gegen Abend kam der Postillion in das Dorf, wo
ausgespannt wurde, und wo ein anderer Knecht ihn ablõste. Da
lieb er sich einen Schoppen Wein geben, um sich zu erwärmen;
weil aber in dem Wirtshause gerade eine Hochzeit gefeiert wurde
und die Stube von Gästen ganz voll war, so begab er sich mit
seinem Wein in die Küche, sette sich auf den warmen Feuerherd,
hãngte sein Horn auf einen Nagel an die Wand und unterhielt sich
mit der Köchin.
Auf einmal aber erschrak er ordentlich, als das Posssthorn von
selbst zu blasen anfing. Da blies es zuerst einige Male das 25
Zeichen, das die Postillione gewöõhnlich geben, wenn jemand aus-
weichen soll; dann aber auch alle Lieder, die er unterwegs hinein-
gehaucht hatte, und die darin festgefroren waren, und die jetzt an
der warmen Wand alle nacheinander wieder auftauten und heraus-
kamen, 2. B. „Schier dreibig Jahre bist du alt· usw. Zuletzt auch 30
noch den Choral: „Nun ruhen alle Wälder“; denn dies war das
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letzte Lied, welches der Postillion hineingeblasen hatte.
Deutsche Marchen seit Grimm, herausgegeben von Zaunert.
193. Grobherzog Leopold von Baden als Vater
der Waisen.
Im Klosterhof in Lichtental steht ein Waisenhaus. Dahin
kam einmal mein Vater von Rarlsruhe herüber. Er besuchte den
Waisenvater und lieb sich die Kinder zeigen, die just am Essen
waren. Da saben auch zwei Kinder zusammen, Brüderlein und