Full text: Der Westphälische Kinderfreund

293 
Deshalb kam der andere Wagen immer tiefer in den Hohlweg 
hinein, und da keiner von beiden mehr ausweichen konnte, so 
fuhr der Postillion geradewegs über den andern Wagen hinweg. 
Damit aber dergleichen Unbequemlichkeiten nicht noch einmal 
vorkommen möõchten, so nahm er alsbald wieder sein Horn zur 
Hand und blies alle Lieder hinein, die er nur wußte; denn er 
meinte, das Horn sei zugefroren, und er wollte es durch seinen 
warmen Atem wieder auftauen. Allein es half alles nichts; es 
war so kalt, dab kein Ton wieder herauskam. 
Endlich gegen Abend kam der Postillion in das Dorf, wo 
ausgespannt wurde, und wo ein anderer Knecht ihn ablõste. Da 
lieb er sich einen Schoppen Wein geben, um sich zu erwärmen; 
weil aber in dem Wirtshause gerade eine Hochzeit gefeiert wurde 
und die Stube von Gästen ganz voll war, so begab er sich mit 
seinem Wein in die Küche, sette sich auf den warmen Feuerherd, 
hãngte sein Horn auf einen Nagel an die Wand und unterhielt sich 
mit der Köchin. 
Auf einmal aber erschrak er ordentlich, als das Posssthorn von 
selbst zu blasen anfing. Da blies es zuerst einige Male das 25 
Zeichen, das die Postillione gewöõhnlich geben, wenn jemand aus- 
weichen soll; dann aber auch alle Lieder, die er unterwegs hinein- 
gehaucht hatte, und die darin festgefroren waren, und die jetzt an 
der warmen Wand alle nacheinander wieder auftauten und heraus- 
kamen, 2. B. „Schier dreibig Jahre bist du alt· usw. Zuletzt auch 30 
noch den Choral: „Nun ruhen alle Wälder“; denn dies war das 
15 
letzte Lied, welches der Postillion hineingeblasen hatte. 
Deutsche Marchen seit Grimm, herausgegeben von Zaunert. 
193. Grobherzog Leopold von Baden als Vater 
der Waisen. 
Im Klosterhof in Lichtental steht ein Waisenhaus. Dahin 
kam einmal mein Vater von Rarlsruhe herüber. Er besuchte den 
Waisenvater und lieb sich die Kinder zeigen, die just am Essen 
waren. Da saben auch zwei Kinder zusammen, Brüderlein und
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.