146 Sechster Zeitraum, Vom Beginn d. Reformation bis zum Westfälischen Frieden.
Waren im Mittelalter die Deutschen scharenweise nach dem slawischen
Osten gewandert, so lenkten sie jetzt in immer größerer Zahl ihre Schritte
über den Ozean nach Westen. Dieser freiwilligen Auswanderung steht die
zwangsweise Übersiedlung zahlreicher Neger gegenüber, die von Sklaven-
Händlern ans Afrika nach der Neuen Welt geschafft wurden, um dort den
Europäern zu fronen. Erst in der neuesten Zeit wurde diesem Unwesen
ein Ziel gesetzt, d) Die Wissenschaften, namentlich die Geographie,
die Naturkunde, die Sprachwissenschaft und die Geschichte, erfuhren eine
ungeahnte Bereicherung und Vertiefung.
1. Me Anfänge der Deformation bis zur Thronbesteigung
Das erste Auftreten Luthers fällt noch in die Zeit des Kaisers Maxi-
milian I. Dieser sah zwar die Einheit des Glaubens gefährdet, schritt aber
nicht gegen Luther ein. Nach seinem Tode (Januar 1519) war das deutsche
Reich tatsächlich fast zwei Jahre hindurch ohne Oberhaupt. Daher
nahmen während dieser Zeit die Angriffe aus das bestehende Kirchentum ungestört
ihren Fortgang. Als der neugewählte Kaiser Karl V. gegen das Ende des
Jahres 1520 in Deutschland erschien, war Luther soeben im Begriffe, den förm¬
lichen Bruch mit der katholischen Kirche zu vollziehen.
a) Luthers Leben und Bildungsgang. Martin Luther wurde geboren
im Jahre 1483 zu Eisleben in Thüringen als Sohn eines Bergmanns, der
früher Bauer gewesen war. Er selbst bezeichnete sich als eines Bauern Sohn.
Seine Eltern hielten ihn in harter Zucht, ließen ihm aber eine tüchtige Aus¬
bildung zu teil werden. Als er bereits mehrere Jahre die Universität zu Erfurt
besucht hatte, um sich durch das Studium der alten Klassiker und der Philosophie
auf das der Rechtswissenschaft vorzubereiten, faßte er plötzlich den Entschluß, der
Welt zu entsagen und Mönch zu werden. Er trat in das Erfurter Augustiner-
kl oft er ein, wurde zum Priester geweiht und als Lehrer der Philosophie an
die neugegründete Universität Wittenberg in Knrsachsen berufen (1508).
Einige Jahre später erwarb er die theologische Doktorwürde und hielt nun unter
großem Zulauf Vorlesungen über die Heilige Schrift und den hl. Augustinus.
Immer mehr setzte sich bei ihm die Überzeugung fest, die er bald auch in seinen
Vorträgen und Predigten aussprach, daß der Mensch gerechtfertigt
werde allein durch den Glauben.
b) Der Ablaßstreit. Luther und Tetzel. Um Geldmittel für den
Ausbau der neuen Peterskirche zu beschaffen, schrieb Papst Leo X. in den
Kirchenprovinzen Mainz und Magdeburg einen Ablaß aus, dessen Ertrag
zur Hälfte dem Erzbischof der beiden Sprengel zufallen sollte. Die Ver-
kündigung in Norddeutschland leitete der Dominikanermönch Johann
Tetzel. Luther hörte von den schweren Mißbräuchen, die dabei vorkamen,
und schlug daher am Tage vor Allerheiligen (31. Oktober) an der Schloß-
1517firche zu Wittenberg 95 Lehrsätze (Thesen) über den Ablaß an,
Karts Y. (1517—1520).