410
auch nicht aus; sie sind also genötigt, dieselbe Luft immer und immer wieder
einzuatmen, so daß diese bis zum Morgen ganz'untauglich für die Lungen ist.
Die Erwachenden erheben sich dann müde und angegriffen, anstatt erfrischt und
gestärkt, wie das sein sollte. Ein kräftiger Mann merkt das wohl nicht; doch
5 schwächliche Frauen und namentlich Kinder leiden darunter, ohne sich davon
Rechenschaft zu geben. Wie oft hört man die Klage: „Ich stehe eben so müde
auf, wie ich mich hinlegte!" — Oft mag der Grund dafür der sein, daß die
Lungen eine ungenießbare Luft eingeatmet haben. Und wenn nicht, gottlob,
Thüren und Fenster meist so schlecht schlössen, so stünde es hiermit schlimmer.
10 Freilich gewöhnt man sich an die schlechte Luft und bemerkt sie kaum, so lange
man selbst darin steckt, doch vermindert das ihre Schädlichkeit nicht. Wenn
man aus einem ungelüfteten Schlafzimmer ins Freie tritt und dann wieder zu
demselben zurückkehrt, da merkt man erst, wie schlecht die Atmosphäre ist.
Reines Wasser, reine Luft, reine Haut, das sind die Haupt-
15 bedingungen einer guten Gesundheit.
Da wir die schlechte Luft nicht sehen können, so ist es schwer, uns klar
zu machen, wie verderblich sie ist; allein jene „unsichtbare Lust" kann einem
Menschen eben so sicher den Todesstoß geben, als versetzte man ihm einen
Schlag auf den Kopf oder einen Messerstich ins Herz. Die entsetzlichen Unglücks-
20 fälle sind uns allen bekannt, welche wiederholt vorkommen, weil man leider
noch so häufig die Unvorsichtigkeit begeht, das Ofenrohr zu einer Zeit zu
schließen, wo die Glut im Ofen noch nicht gehörig ausgebrannt ist. Es ent¬
wickelt sich das sehr schädliche Kohlengas, dessen Gegenwart sich für den Augen¬
blick nur wenig bemerklich macht. Schlafen Menschen in einem solchen Zimmer,
25 so findet man sie erstickt in ihren Betten. Viele Menschen haben schon beim
Graben oder Reinigen von Brunnen ihr Leben verloren, indem sie eine mit
einer großen Menge Kohlensäure vermischte Luft einatmeten, wie solche bis¬
weilen dem Innern der Erde entströmt. Dieselbe Kohlensäure kommt auch in
Kellern und Brauereien vor, wo Flüssigkeiten in Gärung begriffen sind, und
30 die Luft kann an solchen Orten so giftig werden, daß Menschen, welche hinein¬
kommen, auf der Stelle tot niederstürzen. Aus solchen Beispeilen erkennt man,
daß böse Luft kein bloßes Spiel der Phantasie ist.
Es ist ferner erwiesen, daß Cholera, Scharlach, Typhus und die Blattern
hauptsächlich aus Mangel an frischer Luft und aus den Ausdünstungen
35 schlechter Senken, Kloaken und sonstigen Unrats herrühren. Gott hat die
frische, reine Luft, ohne welche wir nicht atmen können, zur „Alltagsluft"
gemacht, zu dem allergewöhnlichsten und erreichbarsten Element, zu welchem
Reiche und Arme Zugang haben, wenn sie es nur wollen. Es erfordert nur
ein wenig Nachdenkens, um jeden Raum, den wir bewohnen, der Luft zugänglich
40 zu machen. Wie es uns als ein schreiendes Unrecht erscheint, unsere Kinder
verhnngern zu lassen, so sollte es uns erst recht zur heiligen Pflicht werden,
ihnen sowie allen Hausbewohnern das allernötigste Lebensbedürfnis, frische
Luft, nicht vorzuenthalten. Um die Luft in einem Zimmer rein und gesund
zu erhalten, ist es durchaus nötig, dasselbe fleißig zu lüften. Durch Räucherungen
45 läßt sich die Erneuerung der Luft niemals ersetzen; wohl aber ist das Auf¬
stellen von Blattpflanzen für das Atmen von Vorteil. Am besten wirkt die
Herstellung von Luftzug. In der Nacht, bei Ruhe im Schlafe, nimmt das