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und wer da säet in Segen, der wird auch ernten in Segen.
Was wundert ihr euch, dasz Unkraut unter dem Weizen stehet!
Hättet ihr den Samen gesichtet, ehe ihr ihn ausstreutet! —
Wer auf sein Fleisch säet, der wird vom Fleische das Ver¬
derben ernten; wer aber auf den Geist säet, der wird vom
Geiste das ewige Lehen ernten. Was der Mensch säet, das
wird er ernten.“
Und alle Garben umher neigten sich und sprachen: Amen!
Amen!
138. Der gesegnete Kirchgang.
In einem Dorf«? wohnte eine Witwe mit fünf Kindern, die ernährte
sich kümmerlich mit ihrer Hände Arbeit. Ihr ganzer Reichthum war eine
einzige Kuh, welche die arme Familie durch ihre reichliche gute Milch er¬
freute. Wie jauchzten die Kleinen, wenn das schöne Thier abends unter
der muntern Herde mit vollem Euter von der Weide zurückkam und brüllend
vor die Stallthür trat und dann die lautere Milch den sauberen Eimer
füllte! In einem Jahre aber trat nicht nur Mißwachs und Theurung ein,
sondern der Witwe starb auch ihr letzter Trost, ihre Kuh. Da löschte sie
am Abend, als die andern Dorfkühe von der Weide zurückgekehrt waren,
ihr kleines Lämpchen unter Jammer und Thränen und durchseufzte die
trübe Nacht; und auch am frühen Morgen erinnerte sie der Klang des
Hirtenhornes nur von neuem an ihr Elend, daß sie sprach: „Es wäre
mir besser, ich stürbe."
Als sie nun so in ihrem Kummer da saß, hörte sie das Geläute der
Glocken, die zur Kirche riefen. Da wurde sie stiller in ihrem Gemüth und
dachte: „Warum sollte ich heute nicht in die Kirche gehen, in den bösen
Tagen? Bin ich ja doch in den guten hingegangen." So ging sie, wenn
auch mit schwerem Herzen, zur Kirche und setzte sich hinter einen Pfeiler;
denn sie schämte sich ihres Unmuths, konnte auch kaum mitsingen vor heim¬
lichem Weinen und die Thränen kaum verbergen. Doch war ihr die Predigt
erwecklich und rührend, und sie fand Trost in dem Worte: „Sorget nicht
für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euernLeib,
was ihr anziehen werdet! Ist nicht das Leben mehr denn die Speise und
der Leib mehr denn die Kleidung? Sehet die Vögel unter dem Himmel
an! Sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheuern,
und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr
denn sie?" Da betete sie inbrünstig zu Gott um Hülfe und kehrte fröhlicher
wieder heim, als sie gekommen war.
Als nun am Abend die Witwe mit ihren Kindern beim düstern Lam¬
penschein saß, sagte sie: „Wenn wir fromm und fleißig sind, wird uns
Gott nicht verlassen, wie er auch der Vöglein getreulich wahrnimmt. So
wollen wir uns erst ein Geißlamm aufziehen; vielleicht kommen wir auch
einmal wieder zu einer Kuh." Kaum hatte sic diese Worte ausgesprochen,
da hörte sie draußen ein Gebrüll, und es wurde an die Thür geklopft. Sie
Vaterländisches Lesebuch. 7