Metadata: Vaterländisches Lesebuch für die Evangelische Volksschule Norddeutschlands

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ihren gemeinsamen Stand auf dem Markte. Durch den Wetteifer der 
Meister, durch Ausbildung der Gesellen auf der Wanderschaft und durch 
Ausstoßung der Pfuscher ward die Arbeit immer vollkommener. Die Glaser 
z. B-, sonst geringe Werkleute, waren hoch emporgekommen: sie verstanden 
durchsichtiges Glas in den schönsten Farben zu verfertigen, sie setzten diese 
Farben kunstvoll in Blei zu Bildern zusammen, malten Gesichter und 
Haare, schattierten die Gewänder mit dunkler Farbe und schliffen helle 
Stellen aus. Auch die Schuster waren sehr kunstreich geworden, ihr Hand¬ 
werk war schwierig: sie hatten Schnabelschuhe zu nähen von buntem Leder, 
deren Spitzen sich zuerst etwas in die Höhe erhoben und dann wie der Kamm 
eines Truthahns hinabhingen. Die Schneider, eine sehr ansehnliche und 
wichtige Innung, waren zumeist durch die Mode geplagt; schon um 1300 
war Klage, daß ein Meister, der im vorigen Jahre noch zur Zufriedenheit 
gearbeitet hatte, fetzt nichts mehr galt, weil er die Kunst der neumodischen 
Kleider nicht verstand. 
So bildeten sich, während die kaiserliche Herrlichkeit sank und der 
Adel verwilderte, in den Städten die Grundlagen aus, auf denen das heutige 
deutsche Leben ruht. Wohl war die Arbeit der Bürger eine bescheidene im 
Vergleich mit den stolzen Kriegsthaten der Nitterzcit; aber auch hier erkennt 
man die Innigkeit des deutschen Gemüthes in der Freude am Schaffen und 
in der behaglichen Sorgfalt, womit der Handwerker die überlieferten For¬ 
men seines Gewerbes künstlerisch auszubilden sich mühte. Betrachtet man 
dazu die Ehrbarkeit, die fromme Sitte und die Mannhaftigkeit der Zünfte, 
so darf man wohl sagen, daß die Mauern der Städte während der Jahre 
der allgemeinen Trübsal und Verwirrung die echten Keime des deutschen 
Lebens für die folgenden Jahrhunderte gerettet haben. 
Aber das Aussehen der Städte um das Jahr 1300 darf man nicht 
mit ihrem heutigen vergleichen. Wer am Morgen in ein Thor hereinzog, 
begegnete sicher dem Stattvieh. Denn der Bürger trieb auch Landbau, 
auch die vornehmen Häuser hatten in engem Hofraum Viehställe. Schweine 
liefen in den Straßen umher und fuhren auch wohl in die Häuser hinein, 
sich ihre unsaubere Nahrung zu suchen; auf abgelegenen Plätzen lagerten 
große Düngerhaufen. Die Hauptstraßen der vornehmsten Städte waren 
wohl hier und da gepflastert, aber selbst in Frankfurt wurde» noch um 
1400 die Hauptwege nur durch Sand und kleine Steine gebessert, und für 
die Domherren war es eine genügende Entschuldigung ihres Ausbleibens 
bei Versammlungen, daß der Straßenschmutz zu arg sei. Wer bei schlech¬ 
tem Wege ausging, fuhr in schwere Holzschuhe; von den Nathsherrcn 
wurde gefordert, daß sie diese vor der Sitzung auszogen. 
Auf den Straßen waren häufige Brunnen mit Rolle, Kette und 
Eimer: die Bäche leitete man gern längs der Hinteren Seite der Höfe, denn 
die Gerber, Weber, Färber und Wollspinner siedelten am Wasser. Wo es 
laufende Brunnen gab, standen Schöpftröge von Stein und Metall daneben, 
und an passenden Stellen gefüllte Wasserbehälter für den Fall einer Feuers¬ 
gefahr.
	        
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