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befördert durch verschiedene Vorrichtungen die Ablagerung jener Massen, bis
das Watt sich so weit erhöht hat, daß es auch zur Zeit der Flut über den Meeres¬
spiegel hervorragt, sich begrünt und durch Deichbauten in Köge verwandelt wer¬
den kann.
40. Der Harz.
Der Harz bildet ein kleines Massengebirge von 14 Meilen Länge und 4 Mei¬
len Breite und gegen 38 n Meilen Flächeninhalt, welches von allen Seiten mit
tiefen Flußthälern strahlenartig durchfurcht und in viele kleinere und größere Berg¬
massen getheilt ist, die alle mit einander zusammenhängen, und deren Oberfläche
meist eben, seltener sanft zugerundet erscheint. Seine südöstlichste Grenze geht bis
Sangerhausen und Mansfeld, seine nordwestliche bis Goslar und Osterode. Die
Wasserscheide zwischen Weser- und Elbgebiet windet quer über den Harz und theilt
das Gebirge in zwei ungleiche Hälften. Die nordwestliche kleinere ist der Ober-
harz, worin Clausthal und Zellerfeld, die nur durch einen Bach geschieden werden,
die Hauptstädte sind; er besteht aus mehreren kleineren Hochebenen von 1409—
2000 Fuß Höhe und ist mit Nadelholz bewachsen. Hier ist der Quellbezirk der
Bode, in dem sich mehrere zugerundete Gipfel erheben, von denen der Brocken
oder Blocksberg (3500Fuß) der höchste ist. Der Unterharz, worin Stolberg
liegt, bildet eine große Hochebene von 1000—1500 Fuß Höhe, trägt einige sanft
gerundete Gipfel von 1800 Fuß Höhe und ist mit Laub holz bewachsen.
Im Brocken und den ihn umgebenden Bergen stellt sich der Granit als
Kern dar, der theils in zusammenhängenden Massen, theils in zahllosen, die Ober¬
fläche der Berge bedeckenden Trümmern hervorbricht. An diesen Kern, der selbst
kein. Erz enthält, schließt sich in südlicher, östlicher und westlicher Richtung eine
zweite Bergmasse, die aus mancherlei Gebirgsarten besteht, aber größtentheils zu
der Grauwackeformation gehört. Diese Bergmasse, älter als der Granit,
enthält die erzführenden Gänge des Harzgebirges.
Dem Oberbarz ist eine gewisse Starrheit und Wildheit eigenthümlich. Jene
gewaltige Naturrevolution, die von dem Scheitel des Blocksberges die Granitkrone
herabstürzte und in tausend und abertausend „Brocken" zertrümmerte, die nun
meilenweit auf den Abhängen und in den Thälern zerstreut sind, hat dem Ober¬
harz etwas Abenteuerliches verliehen, und hier konnte sich daher auch die Volks¬
sage von der Walpurgisnacht und dem Hexentanz entwickeln. Da haben die Berg
geifier ihre Teufelskanzeln und Hexenaltäre aufgethürmt, dort liegt Schierke, dessen
ärmliche Bewohner mit bleichen Gesichtern und dicken Hälsen einen traurigen Ein¬
druck machen, umgeben von riesigen Granitblöcken; dazwischen rauscht die Bode
durch's schauerlich enge, tannendüstre Thal. Da liegt aber auch das prächtige
Thal der Emme, nach Wernigerode zu in die Ebene sich erstreckend. Zwar
wild und schwer zugänglich, ist es doch eins der schönsten und nächst der Roßtrappe
das großartigste, was der Harz aufzuweisen hat. Es enthält die gewaltigsten
Felspartien, die einigermaßen an die Thalschluchten der Alpen erinnern; fast in
lauter kleinen Wasserfällen braust jugendlich übermüthig die Holtemme in ihrer
„steinernen Renne" dahin, bis sie in die Bode einmündet. — Das Bodethal ist
vorzugsweise mit Naturschönheiten gesegnet. Da liegen die Baumanns- und
Bielshöhle mit ihren wunderlichen Tropfsteinbildungen. Am schönsten aber
wird das Thal da, wo die Bode in die Ebene tritt (in's Quedlinburger Thal).
Der Fluß tobt schäumend zwischen Felsstücken hin und wird immer enger ein
geschlossen von hohen Felswänden, deren eine fast senkrecht aufsteigt zu einerHöhe
von 700 Fuß. Oben zeigt man einen riesig großen Roßhuf, der vor Alters in
den Felsgipfel gehauen ist und wahrscheinlich den heidnischen Priestern dazu ge¬
dient hat, sich hinzustellen und zu weissagen. Das ist die Roßtrappe. Der
Sage nach ist der Roßtrapp also entstanden. Der im Böhmer Walde hausende
Riese Bohdo verlangte die Königstochter vom Riesengebirge Emma zur Gemahlin.
Emma entfloh von der Schneekoppe und kam an die Grenze des Harzes; Bohdo