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66. Wolf, Ziege und Kohl.
Ein Mann sollte in einem Kalme einen Wolf, eine Ziege
und einen Haufen Kohl über einen Flusz bringen. Der Kahn
war aber so klein und enge, daszer nur immer einen von diesen
Gegenständen aufnehmen konnte. Es entstand nun die Frage,
welchen der Mann zuerst überschiffen sollte, ohne fürchten zu
müssen, dasz während der Ueberfahrt der Wolf die Ziege, oder
die Ziege den Kohl fresse. — Sollte er zuerst den Wolf über¬
setzen ? — Aber dann hätte ja unterdes die Ziege den Kohl
aufgefressen. — Nein, die Ziege hätte er übersetzen sollen, denn
der Wolf konnte ja doch den Kohl nicht fressen. — Recht gut!
Das würde das erste Mal wohl gehen; aber was soll er nun zur
zweiten Ueberfahrt nehmen? Den Wolf? —so würde dieser
während der dritten Ueberfahrt die Ziege zerreiszen. Den Kohl?
— dann würde dieser eine Beute der Ziege. — Weisz niemand
dem armen Manne einen Rath zu geben? — Nein; denn wollte
er auch zuerst den Kohl einschiffen, so würde die arme Ziege
von dem grausamen Wolfe zerrissen werden. Ist denn aber der
Kahn wirklich so schmal und klein, dasz er den Wolf und den
Kohl nicht zugleich aufnehmen könnte ? — Allerdings; doch
halt: während er den Wolf übersetzt, musz er die Ziege anbin¬
den, dasz sie den Kohl nicht erreichen kann ! — Der Vorschlag
wäre nicht übel, aber es fehlt sowohl an einem Stricke, als auch
an einem Baume. — So giebt es also wirklich kein Mittel, die
Ziege und den Kohl zu retten? — Eins giebt es: beim ersten
Ueberfahren nimmt der Mann die Ziege; der Kohl bleibt beim
Wolf, der ihn gewisz nicht anrührt. Das zweite Mal nimmt er
den Kohl, bringt ihn an das jenseitige Ufer und nimmt bei der
Rückfahrt die Ziege wieder mit. Diese führt er dann aus dem
Schiff und schifft nun den Wolf über, der dann wieder zu dem
Kohl kommt. Zuletzt holt er die Ziege, und so ist alles in
Sicherheit.
67. WoMäppcheri.
(Märchen.)
Es war einmal ein kleines liebes Mädchen, die Hatte jedermann gern,
der sie nur ansah, am allerliebsten aber ihre Großmutter, die wußte gar
nicht, was sie alles dem Kinde geben sollte. Einmal schenkte sie ihm ein
Käppchen von rothem Sammet, und weil ihm das so wohl stund, und es
nichts anders mehr tragen wollte, hieß es nur das Rothkäppchen. Da sagte
einmal seine Mutter zu ihm: „Komm', Rothkäppchen, da hast du ein Stück
Kuchen und eine Flasche Wein, die bring' der Großmutter hinaus: weil sie
krank und schwach ist, wird sie sich dran laben; sei aber hübsch artig und
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