Full text: Vaterländisches Lesebuch für die Evangelische Volksschule Norddeutschlands

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3. 
Einst sprach der Pfau zu derHenne: „Sieh einmal, wie hochmüthig 
und stolz dein Hahn einhcrtritt! Und doch sagen die Menschen nicht: „der 
stolze Hahn!" sondern nur immer: „der stolze Pfau!" 
„Das macht", sagte die Henne, „weil der Mensch einen gegründeten 
Stolz übersieht. Der Hahn ist auf seine Wachsamkeit stolz; aber worauf 
du? — Auf Farben und Federn." 
96. vor kleine Börsenhändler. 
Es traf einmal ein kleiner Knabe einen stattlichen Herrn in 
Offizierkleidung an, der mit einer jungen Dame an einem schönen 
Morgen im Thiergarten hei Berlin lustwandelte. Der Thiergarten 
ist aber ein schöner, schattiger Wald mit lieblichen Gängen, dicht 
bei Berlin , der groszen Stadt, in welcher der König wohnt. Der 
Kleine bat, ihm eine von den kleinen Börsen (oder Geldbeuteln) ab¬ 
zukaufen , wovon er einen ganzen Vorrath in einem Kästchen vor¬ 
zeigte. Der Herr entgegnete : „Ich bedarf der Waare nicht", und 
ging weiter. „Lieber Herr Lieutenant“, begann der Kleine, neben 
dem Herrn herlaufend, „so kaufen Sie doch etwas für die Mamsell 
da; meine arme Mutter strickt diese Börsen, und wenn ich kein 
Geld mitbringe, so haben wir diesen Abend nichts zu essen.“ Er 
erzählte hierauf, der Vater sei Soldat gewesen, bei Leipzig geblieben, 
und er habe noch zwei kleinere Geschwister. Der Herr sah dem 
Kinde in das offene, ehrliche Gesicht, fragte nach dem Preise, nahm, 
da der Knabe zwei Silbergroschen für das Stück forderte, ein 
Dutzend und gab ihm ein groszes Goldstück, zehn Thaler an Werth. 
„Ja, lieber Herr Lieutenant“, sagte der Junge und besah das grosze, 
blanke Goldstück, „darauf kann ich nicht herausgeben.“ Der Herr 
meinte darauf, er sollte es nur behalten und seiner Mutter bringen, 
erkundigte sich nach deren Namen und Wohnung, setzte seinen 
Spaziergang fort und überliesz den Kleinen seinem Staunen und 
Entzücken. Nach Verlauf einer guten Stunde trat ein Adjutant des 
Königs in die ärmliche Hütte der Mutter und erkundigte sich nach 
der Wahrheit der Aussage des Knaben. Der edle König und dessen 
liebenswürdige Tochter, damalige Prinzessin ALexandrine, waren es 
gewesen, denen Gott, der Vater der Armen, das Kind gesandt hatte, 
um der Mutter Noth zu lindern und ihr die Thränen über den Ver¬ 
lust des gefallenen Gatten und Vaters zu trocknen. Die eingeholten 
Zeugnisse über das Betragen und die Aufführung der Frau lauteten 
zu ihrem Lobe ; und die Ertheilung eines lebenslänglichen Jahr¬ 
geldes von hundert Thalern und die Unterbringung des kleinen 
Börsenhändlers in eine Erziehungsanstalt waren die Folgen jenes 
Gott wohlgefälligen Morgenganges.
	        
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