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135. Räthsel.
1. Kennst du die Brücke ohne Bogen 2. Er Laut sie auf in wenig Tagen,
und ohne Joch, von Diamant, geräuschlos, du bemerkst es kaum;
die über breiter Ströme Wogen doch kann sie schwere Lasten tragen
errichtet eines Greises Hand? und hat für hundert Wagen Raum.
3. Doch kaum entfernt der Greis sich wieder,
so hüpft ein Knabe froh daher,
der reißt die Brücke eilig nieder,
du siehst auch ihre Spur nicht mehr.
136. Die Bremer Stadtmusikanten.
(Märchen.)
Es hatte ein Mann einen Esel, der ihm schon lange Jahre treu gedient
hatte, dessen Kräfte aber nun zu Ende gingen, so dasz er zur Arbeit immer un¬
tauglicher ward. Da wollt’ ihn der Herr aus dem Futter schaffen, aber der Esel
merkte, dasz kein guter Wind wehte, lief fort und machte sich auf den Weg
nach Bremen : „Dort,“ dachteer, „kannst du ja Stadtmusikant werden. “ Als
er ein Weilchen fortgegangen war, fand er einen Jagdhund auf dem Wege liegen,
der jappte wie einer, der sich müde gelaufen. „Nun, was jappst du so?“ sprach
der Esel. „Ach,“ sagte der Hund , „weil ich alt bin und jeden Tag schwächer
werde, und auf der Jagd nicht mehr fort kann, hat mich mein Herr wollen todt
schlagen, da hab ich Reiszaus genommen ; aber womit soll ich nun mein Brot
verdienen?“ „Weiszt du was?“ sprach der Esel, „ich gehe nach Bremen, dort
Stadtmusikant zu werden, geh mit und lasz dich auch bei der Musik annehmen.“
Der Hund war’s zufrieden, und sie gingen weiter. Es dauerte nicht lange, so
sasz da eine Katze am Weg und machte ein Gesicht wie drei Tage Regen¬
wetter. „Nun, was ist dir denn in die Quere gekommen?“ fragte der Esel.
„Wer kann da lustig sein, wenn’s einem an den Kragen geht?“ antwortete
die Katze; „weil ich nun zu Jahren komme, meine Zähne stumpf
werden, und ich lieber hinter dem Ofen sitze und spinne, als nach den Mäusen
herumjage, hat mich meine Frau ersäufen wollen ; ich habe mich zwar noch fort¬
gemacht, aber nun ist guter Rath theuer; wo soll ich hin?“ „Geh mit uns nach
Bremen, du verstehst dich doch auf die Nachtmusik, da kannst du ein Stadt¬
musikant werden.“ Die Katze war’s zufrieden und ging mit. Daraufkamen
die drei Landesflüchtigen an einem Hof vorbei, da sasz auf dem Thor der Haus¬
hahn und schrie aus Leibeskräften. „Du schreist einem durch Mark und Bein,“
sprach der Esel, „was hast du vor?“ „Da hab ich gut Wetter prophezeit,“
sprach der Hahn, „weil unserer lieben Frau Tag ist, wo sie gewaschen hat und
trocknen will: aber weil morgen zum Sonntag Gäste kommen, so hat die Haus¬
frau doch kein Erbarmen und hat der Köchin gesagt, sie wollte mich morgen
in der Suppe essen, und da soll ich mir heut Abend den Kopf abschneiden lassen.
Nun schrei’ ich aus vollem Hals, so lang ich noch kann.“ „Ei was, du Roth-
kopf,“ sprach der Esel, „zieh lieber mit uns fort nach Bremen, etwas besseres
als den Tod findest du überall; du hast eine gute Stimme, und wenn wir zu¬
sammen musicieren, so muss es eine Art haben.“ Der Hahn liesz sich den Vor¬
schlag gefallen, und sie gingen alle vier zusammen fort.
Sie konnten aber die Stadt Bremen in einem Tage nicht erreichen und
kamen abends in einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der Esel und der
Hund legten sich unter einen groszen Baum, die Katze und der Hahn machten
sich hinauf, der Hahn aber flog bis in die Spitze, wo es am sichersten für ihn »
war. Ehe er einschlief, sah er sich noch einmal nach allen vier Winden um, da
däuchtc ihm, er sähe in der Ferne ein Fünkchen brennen, und riefseinen Gesellen
zu, es müszte nicht gar weit ein Haus sein, denn cs scheine ein Licht. Sprach
Vaterländisches Lesebuch. q