Full text: Der deutsche Kinderfreund

70 Erzählungen 
nun einmal geschehen, und sie konnte nichts besseres 
thun, als sich selbst bei ihrer Mutter anklagen. Dieß- 
mal kam sie mit einem nachdrücklichen Verweise davon. 
Sie nahm sich vor, künftig b e h u t sa m zu seyn; aber 
schon am folgenden Tage beging sie eine ähnliche Unvor¬ 
sichtigkeit. Als ihre Mutter das Mittagsessen zuberei¬ 
tete, befahl sie ihr, einen Topf mit Wasser, der auf dem 
Ofen stand, auszuschütten, und ihr den Topf zu brin¬ 
gen. Henriette ging, ergriff aber statt des Wassertop¬ 
fes einen Topf mit Fleischbrühe, und schüttete die schöne 
Brühe zum Fenster hinaus. Eine wohlgekleidete Frau, 
die unter dem Fenster vorbei ging, sahe sich auf einmal 
über und über mit Brühe begossen. Ihr ganzes Kleid 
war verdorben. Gie kam zu Henriettens Mutter, be¬ 
schwerte sich sehr und verlangte, daß sie ihr das Kleid 
bezahlen sollte. Dießmal blieb es nicht bei einem nach¬ 
drücklichen Verweise, sondern Henriette erhielt Strafe. 
Was konnte Henriette wohl nicht leugnen? Womit 
konnte sie sich entschuldigen? Ernstlicher, als jemals 
nahm sie sich vor, vorsichtig und bedächtig zu wer¬ 
den. Aber wie wenig sie ihrem Vorsatze getreu blieb, wird 
die Folge zeigen. — Es war ungefähr acht Tage nach¬ 
her, als sie allerlei häusliche Geschäfte zu verrichten 
batte, wobei sie sich wenig Zeit nehmen durfte. Indem 
sie rasch aus der Küche kn die Stube gehen will, be¬ 
merkt sie die Wanne nicht, welche sie eben erst selbst 
hingesetzt, und mit Wasser angefüllt hatte, stolperte dar¬ 
über, stürzt hin, und schlagt sich an einer Tischecke zwei 
Zähne aus. Wem hatte sie dieß Unglück zuzuschreiben? 
Sie weinte bitterlich über ihre Unbedachtsamkeit 
und konnte sich lange nicht zufrieden geben; denn sie war 
durch den Verlust ihrer Zähne sehr entstellt. Nun hätte 
man denken sollen, daß ein so empfindliches Unglück sie 
bessern würde. Wirklich war sie auch in den nächsten 
Wochen behutsamer, als jemals; aber ganz gebessert 
war sie doch noch nicht, denn ihr Leichtsinn war zu groß. 
Dieß zeigte sich eines Tages, als sie ihrer Mutter beim 
Plätten der Wäsche half. Eben hatte sie ein glühendes 
Eisen in die Plätte gethan, und wollte sie nun auf eine 
umgekehrte Schüssel setzen. Ihre Mutter saß an dem¬ 
selben Tische, und hatte ihr kleinstes Kind auf dem
	        
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