Full text: Der deutsche Kinderfreund

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gar keine Frage, die Büste muß den Ausspruch thun — wiewol sie nicht 
reden kann, ha, ha, ha, ha, ha!" 
Die umstehenden Abderiten lachten alle aus vollem Halse über den witzigen 
Einfall des kurzen runden Männchens, und nun lief Alles, was^Füße halte, 
dem Portale zu. Der Fremde ergab sich mit guter Art in sein Schicksal, ließ 
sich von vorn und hinten betrachten, und Stück für Stück mit seiner B ü st e 
vergleichen, so lange sie wollten. Aber leider! die Vergleichung konnte un¬ 
möglich zu seinem Vortheil ausfallen: denn besagte Büste sah jedem andern 
Menschen oder Thiere ähnlicher, als ihm. 
„Nun," schrie der Nomophplax triumphirend, — „was kann der Herr 
nun zu seinem Vorstand sagend" 
Ich kann etwas sagen (versetzte der Fremde, den die Komödie nachgerade 
zu betustigen anfing), woran von Ihnen allen keiner zu denken scheint: wie¬ 
wol es eben so wahr ist, als daß Sie — Abderiten und ich Euripides bin. 
„Sagen, sagen!" grinste der Nomophplax; „man kann freilich viel sagen, 
wenn der Tag lang ist, hä, hä, hä? — Und was kann der Herr sagend" 
Ich sage, daß diese Büste dem Euripides ganz und gar nicht ähnlich sieht. 
„Nein, mein Herr," rief der dicke Raths Herr, „das müssen Sie 
nicht sagen! Die Büste ist eine schöne Büste; sie ist von weißem Marmor, 
wie Sie sehen, Marmor von Paros, straf' mich Jupiter! und kostet uns 
hundert baare Dariken Species, das können Sie mir nachsagen! — Es ist 
ein schönes Stück von unserm Stadtbildhauer. — Eiu geschickter berühmter 
Mann! — nennt sich Moschion — werden von ihm gehört haben? — ein 
berühmter Mann! — Und, wie gesagt, alle Fremden, die noch zu uns gekommen 
sind, haben die Büste bewundert! Sie ist echt, das können Sie mir nach¬ 
sagen! Sie sehen ja selbst, es steht mit großen goldenen Buchstaben drunter 
Euripides.“ 
Meine Herren, sagte der Fremde, der alle seine angeborene Ernsthaftigr 
keit zusammen nehmen mußte, um nicht auszubersten: darf ich nur eine einzige 
Frage thun? 
„Von Herzen gern," riefen die Abderiten. 
Gesetzt, fuhr jener fort, es entstände zwischen mir und meiner Büste 
ein Streit darüber, wer mir am ähnlichsten sehe — wem wollen Sie glauben, 
der Büste oder mir? 
„Das ist eine kuriose Frage," sagte der Abderiten einer, sich hinter 
den Öhren kratzend. — „Eine kapriziöse Frage, beim Jupiter!" rief ein 
anderer: „nehmen Sie sich in Acht, was Sie antworten, hochgeachteter Herr 
Rathsherr!" 
^Jst der dicke Herr ein Nathsherr dieser berühmten Republik? — fragte 
der Fremde mit einer Verbeugung — so bitte ich sehr um Verzeihung! Ich 
gestehe, die Büste ist eiu schönes glattes Werk, von schönem Parifchen Mar¬ 
mor! und wenn sie mir nicht ähnlich sieht, so kommt es wol bloß daher, weil 
Ihr berühmter Stadtbildhauer die Büste schöner gemacht hat, als die Natur 
— mich.. Es ist immer ein Beweis seines guten Willens, und das verdient 
alle meine Dankbarkeit. 
Dieses Kompliment that eine große Wirkung; denn die Abderiten hatten's 
gar zu gern, wenn man fein höflich mit ihnen sprach. Es muß doch wol 
Euripides selber sein, murmelte einer dem andern in's Ohr; und der dicke 
Nathsherr selbst bemerkte bei nochmaliger Vergleichung der Büste mit dem 
Fremden, daß die Bärte einander vollkommen ähnlich wären. 
Zu gutem Glücke kam der Archon Onolaus und sein Neffe O nobulus 
dazu, der den Euripides zu Athen hundertmal gesehen und öfters gesprochen 
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