164 Sechste Abtheilung. Kurzer Abriß
trefflicher, gerechter und gütiger Regent, verzieh seinen Fein¬
den, manchen mehrmals; vertheidigte zuweilen Angeklagte vor
Gericht, nahm es nicht übel, als ein Soldat, dem er diesen
Dienst versagt und den er an einen ordentlichen Advocaten
wies, erwiederte: „O bei Actium habe ich dir nicht durch
einen Sachwalter gedient!" Octavius übernahm den Prozeß
und gewann ihn. Auch im Auslande genoß er großes An¬
sehen. Ob er gleich selbst regierte, so erhielt er doch dem
Senate und den Beamten die nöthige Achtung. Er hatte an
dem Agrippa einen ausgezeichneten Feldherrn, an dem Mä-
cenas einen weisen Rath und Beförderer der Wissenschaften
und Künste. Es war eine glanzvolle Periode, schon durch
die drei noch jetzt geehrten Dichter: Virgil, berühmt durch
Hirtenlieder, ein Gedicht über das Landleben und aus den
Trojaner Aeneas, der nach Italien geflüchtet war und Ahn¬
herr der Römer wurde; Horaz, Virgils Freund, der schöne
erhabene Gesänge (Oden), Lehrgedichte, Spottgedichte (Saty-
ren), dichterische Briefe u. A. hinterlassen hat; Ovid, der
Metamorphosen oder Verwandlungen, ein berühmtes Gedicht
über die Mythologie, aber auch Dichtungen lieferte, welche
die guten Sitten verletzten, weßhalb er an das schwarze
Meer verwiesen wurde, wo er rührende Klagelieder dichtete.
Der lange Friede, mit wenig Ausnahme, trug so viel zur
Verschönerung Roms und zum Wohlbefinden der Römer bei,
daß man zu dem Namen Octavius den Beinamen Augustus,
der Glückliche, fügte und ihn Vater des Vaterlandes nannte.
Nach einer Regierung von 44 Jahren (30 Jahre vor und
14 nach Chr. Geb.) sagte man: „er hätte nie geboren wer¬
den, oder nie sterben sollen." Nur seine Tochter und einige
Enkel, die er sorgfältig erziehen ließ, aber doch wegen ihrer
Laster verweisen mußte, und die Niederlage seines Heeres
unter Varus gegen die Deutschen unter Hermann im Jahre
9 störten sein Glück.
Leider wurden aber die Römer durch die gute Zeit ver¬
wöhnt, schwelgerisch, weichlich und lasterhaft. Augustus' meiste
Nachfolger waren unwürdige Regenten. Sein Stiefsohn
Tiberius (14—37), von dem er selbst nichts Gutes vorher¬
sagte, war ein argwöhnischer Tyrann und Heuchler. Er
stellte eine Menge Angeber (Delatoren) an und ließ dann die
Verdächtigen hinrichten; die Leibwache vermehrte er auf 10,000
Mann, die späterhin nach Belieben Kaiser wählten und ab¬
setzten, auch wol ermordeten. Unter ihm, im Jahre 33,