ihre Zeit und Kraft gehören ihrem Gemahl oder ihren Kindern oder
ihrem Volke.
Doch jetzt tritt der Kaiser ein, begleitet von seinem Flügeladjutanten
— und die kleine Tafelrunde ist beisammen. Man geht hinein in das
angrenzende Speisezimmer.
Was wird es zu essen geben? Wir sind im Kaiserheim, und hier
erwarte man keine ausgesuchten Delikatessen, nein, der Kaiser liebt für
sich selbst und sein Haus kräftige, einfache Kost. Heute lautet die
Speisekarte: Weimarische Graupensuppe — Gebackene Seezungen —
Rindslende mit Gemüse — Apfelkuchen —. Den Speisen entsprechen
die Getränke; es wird nur weißer und roter Tischwein oder ein Glas
Mosel⸗Schaumwein dazu getrunken. Wir sehen hier wieder, es geht
einfach her im Kaiserhaus, soweit es sich um persönliche und häusliche
Bedürfnisse handelt; damit verträgt sich sehr wohl fürstlicher Aufwand,
sobald der Hausherr als Kaiser zu repräsentieren hat. Nach der bis—
herigen Tageseinteilung wundert es uns nicht, daß das Mittagsmahl
schnell aufgetragen wird und so nur zwanzig bis dreißig Minuten
beansprucht. Gleich anschließend wird der Kaffee im Wohnzimmer der
Kaiserin herumgereicht, und dann rufen neue Pflichten. Die Majestäten
besteigen ihren Wagen. Aber jetzt gilt die Fahrt nicht wie am Morgen
ausschließlich der Erfrischung in der stillen Natur, sie hat jetzt zugleich
praktische Ziele. Der Kaiser gibt dem Leibjäger einen Wink, und der
Wagen biegt in die Siegesallee. Wir wissen warum. Es soll der Fort⸗
schritt der Arbeiten an den Denkmals⸗Gruppen geprüft werden. Nun
geht es weiter nach dem Südwesten Berlins. Der Kaiser hat den
Namen eines Künstlers zum Bock hinaufgerufen, und bald hält das
Gespann unter den breiten Atelierfenstern. — Ist die eingehende
Besichtigung zu Ende, so nehmen die Trakehner ihren Lauf wieder
zurück, doch noch einige Male läßt der Kaiser halten; es gilt Besuche
zu erwidern bei fürstlichen Persönlichkeiten, fremdländischen Botschaftern
Aufmerksamkeiten zu erweisen, nach dem Befinden hervorragender
Persönlichkeiten anzufragen; — aber nun im schärfsten Tempo zurück
— in wenigen Minuten ist der Monarch an seinem Arbeitstisch.
Der Abend senkt sich leise herab aufs Kaiserschloß, die Purpur⸗
standarte wird eingezogen. Heute geht der kaiserliche Herr in kein
Kasino und kein Theater, er will, wie er es am liebsten tut, im fröh—
lichen, anregenden Kreise einiger Gäste im eigenen Heim den Abend
zubringen.
Bald ist ein Kreis derer geladen, die in früheren Jahren dem
Hofstaat der Majestäten angehört; bald besteht er aus solchen, die den
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