Full text: Lesebuch für obere Classen in katholischen Elementarschulen

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die er auf unsere Erde ausübt, hergeleitet. Die Höhe der Fluth ist 
sehr verschieden, in den offenen Meeren höher, als in den Binnen¬ 
meeren, in denen sie, wie in der Ostsee, oft kaum wahrzunehmen, 
oder wie im Mittelmeer, nur 1— 2% Fuß hoch ist, während sie in der 
gemäßigten Polarzone bis 18 und 20 Fuß steigt. Die Ebbe ist an 
einigen Küsten so stark, daß bei derselben eine große Strecke des Meer¬ 
bodens wasserfrei wird. 
Solche Strecken, so wie die Untersuchungen, die man im Meere 
selbst angestellt hat, liefern die vollste Gewißheit, daß das Meer, wie 
die Erdoberfläche, Hügel, Berge, Thäler, Schluchten, Felsen, Ebenen 
und Hochebenen hat. Und diese Thäler, Ebenen und Höhen sind nicht 
allein von zahllosen Thiergeschlechtern bevölkert, sondern auch mit un¬ 
zähligen Pflanzen bewachsen. Zwar gedeiht auf dem Meeresboden 
hauptsächlich nur Eine Pflanzenart, der Tang; aber dieser ist in seinen 
verschiedenen Arten so mannigfaltig gestaltet, so prachtvoll gefärbt, in 
so reicher Anzahl und in so ungeheurer Länge vorhanden, daß er im 
Stande ist, die Tiefen des Meeres zu wahrhaften Zaubergärten um¬ 
zugestalten. Diese Pflanzen bilden die unterseeischen Waldungen, in¬ 
dem sie in buntem Gemisch und mannigfacher Verflechtung durch ein¬ 
ander wachsen, ihre Zweige verschlingen, hier Lauben und Gänge, dort 
unentwirrbare Dickichte bilden, und da freies Wiesenfeld offen lassen, 
wo kleinere Meerpflanzen die rosenrothe Rasendecke bilden. Millionen 
von Seethieren der verschiedensten Art nähren sich von diesen Pflanzen¬ 
massen, welche mit großer Raschheit wachsen und vergehen. Und durch 
dieses traumhafte Farbenspiel rudern bunte Muscheln und schillernde 
Fischchen; an den Stengeln kriechen langsam weidende Schnecken; an 
den Bäumen nagen die zwanzig Fuß langen grauhaarigen Wallrosse,, 
stark durch mächtige Hakenzähne; an ihnen nährt sich der riesige Dugong^ 
der nicht minder große, aber plumpe Monati, das noch größere Bor¬ 
kenthier mit seiner runzeligen, der Eichenrinde ähnlichen Haut, der 
wandernde, 30 bis 50 Fuß lange Haifisch, der dichtbehaarte Seehund 
und die schwerfällige Schildkröte. 
Sieh, wie diese Riesenthiere des Meeres einander von den besten. 
Weideplätzen verjagen; wie der Seehund flüchten muß, wenn das 
Wallroß naht; wie heftig das Borkenthier an den Zweigen reißt, daß 
die angeklammerten Schnecken klappernd herabfallen! Eben weiden die 
Herden in behaglicher Ruhe in der dämmerigen Kühle des Meerbo¬ 
dens, da schleicht ein hungriger Hai heran; seine glasigen Augen leuch¬ 
ten im gelben Glanz der Eulenaugen und suchen ihre Beute. Bald 
bemerkt ihn der Seehund und flüchtet in das dichteste Gebüsch des 
Tangwaldes. Im Nu verändert sich die Scene- Die Muschel klappt 
ihr Gehäuse zu und stürzt sich in die Tiefe, die Schildkröte kriecht un¬ 
ter ihr Horndach und läßt sich rasch zu Boden finken; die tändelnden 
Fischchen verschwinden unter den Zweigen der Meerpflanzen; die Krebse 
schlüpfen unter die Wurzeln derselben; das Wallroß aber wendet sich.
	        
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