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Noch heut' so reich, als du bist gewesen ewiglich; mein Ver¬
trauen steht ganz zu dir," und mit dem Vers aus Paul
Gerhard's Liede: „Schickt uns Gott ein Kreuz zu tra¬
gen, dringt herein Angst und Pein, sollt' ich drum verza¬
gen?" Ober sie sagte zu der sorgenden Mutter: Liebe Mut¬
ter, weine nur nicht; wir wollen recht beten und arbeiten;
wenn ich aus der Schule komme, will ich fleißig Strohhüte
flechten; der liebe Gott wird uns nicht verlassen!" — So
verging fast ein Jahr nach des Vaters Tode; die Wittwe
hielt mit ihrem einzigen Kinde sparsam und treulich Haus,
und Beide hatten durch Gottes Segen keinen Mangel. Das
Magdlein ging fleißig zur Schule, flocht-nach der Schule
eben so fleißig Stroh zu Hüten; seine einzige äußerliche Un¬
terhaltung und Freude war eine Henne, die sich die kleine
Waise vom Küchlein auferzogen und mit den abgesparten
Brotkrumen ernährt hatte. Eines Tages, in der Erntezeit,
geht die Mutter zu einem Bauer in dem nächsten Dorfe,
um bei diesem Hafer rechen zu helfen; das Mägdlein aber
geht nach seiner Gewohnheit in die Schule, und setzt sich,
sobald es nach Hause gekommen, vor die Thür seiner Hütte
hin, um Stroh zu Hüten zu flechten. Da kommt ein Nach¬
barsmädchen von zwölf Jahren, ein Kind von sehr wilder
Art, und will Rosinen nöthigen, mit ihr herumzusprin¬
gen und Muthwillen zu treiben. Die kleine, fromme Waise
will das nicht. Hierüber erzürnt, reißt sie das stärkere Nach¬
barsmädchen zu Boden, und knieet ihr auf den Leib, bis das
Kind vor Schmerzen laut aufschreit. Als die Mutter des
Abends von der Arbeit nach Hause kommt, klagt ihr die
Kleine, was ihr geschehen sei. Die Mutter aber meint, eS
werde ihr wohl nicht viel Schaden gethan haben, und geht
mit dem Kinde schlafen. Am Morgen aber klagt dieses sehr
über Schmerz in seinem Leibe, kann schon nicht mehr auf¬
stehen, und auch durch die von einem guten Arzte in Dres¬
den gebrauchten Arzeneimittel werden die Schmerzen nicht
gelindert, sondern immer nur größer. Da bittet das Mägd¬
lein seine Mutter, sie solle ihm doch den Seelsorger holen
lassen, daß er mit ihr bete wie mit ihrem Vater, denn sie
werde sterben. Die Mutter sagt: „Mein liebes Kind, wen
hätte dann ich? Du bist noch mein Trost. Du wirst ja nicht
sterben wollen!" — Das Kind antwortet: „Liebe Mutter,
Gott muß Euer Trost sein; vertrauet nur ihm! Wisset Ihr
nicht, wie wir singen: „„Weil du mein Gott und Tröster bist,
dein Kind du wirst verlassen nicht?" " Lasset nur den Herrn
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