Full text: Neuer christlicher Kinderfreund

307 
Noch heut' so reich, als du bist gewesen ewiglich; mein Ver¬ 
trauen steht ganz zu dir," und mit dem Vers aus Paul 
Gerhard's Liede: „Schickt uns Gott ein Kreuz zu tra¬ 
gen, dringt herein Angst und Pein, sollt' ich drum verza¬ 
gen?" Ober sie sagte zu der sorgenden Mutter: Liebe Mut¬ 
ter, weine nur nicht; wir wollen recht beten und arbeiten; 
wenn ich aus der Schule komme, will ich fleißig Strohhüte 
flechten; der liebe Gott wird uns nicht verlassen!" — So 
verging fast ein Jahr nach des Vaters Tode; die Wittwe 
hielt mit ihrem einzigen Kinde sparsam und treulich Haus, 
und Beide hatten durch Gottes Segen keinen Mangel. Das 
Magdlein ging fleißig zur Schule, flocht-nach der Schule 
eben so fleißig Stroh zu Hüten; seine einzige äußerliche Un¬ 
terhaltung und Freude war eine Henne, die sich die kleine 
Waise vom Küchlein auferzogen und mit den abgesparten 
Brotkrumen ernährt hatte. Eines Tages, in der Erntezeit, 
geht die Mutter zu einem Bauer in dem nächsten Dorfe, 
um bei diesem Hafer rechen zu helfen; das Mägdlein aber 
geht nach seiner Gewohnheit in die Schule, und setzt sich, 
sobald es nach Hause gekommen, vor die Thür seiner Hütte 
hin, um Stroh zu Hüten zu flechten. Da kommt ein Nach¬ 
barsmädchen von zwölf Jahren, ein Kind von sehr wilder 
Art, und will Rosinen nöthigen, mit ihr herumzusprin¬ 
gen und Muthwillen zu treiben. Die kleine, fromme Waise 
will das nicht. Hierüber erzürnt, reißt sie das stärkere Nach¬ 
barsmädchen zu Boden, und knieet ihr auf den Leib, bis das 
Kind vor Schmerzen laut aufschreit. Als die Mutter des 
Abends von der Arbeit nach Hause kommt, klagt ihr die 
Kleine, was ihr geschehen sei. Die Mutter aber meint, eS 
werde ihr wohl nicht viel Schaden gethan haben, und geht 
mit dem Kinde schlafen. Am Morgen aber klagt dieses sehr 
über Schmerz in seinem Leibe, kann schon nicht mehr auf¬ 
stehen, und auch durch die von einem guten Arzte in Dres¬ 
den gebrauchten Arzeneimittel werden die Schmerzen nicht 
gelindert, sondern immer nur größer. Da bittet das Mägd¬ 
lein seine Mutter, sie solle ihm doch den Seelsorger holen 
lassen, daß er mit ihr bete wie mit ihrem Vater, denn sie 
werde sterben. Die Mutter sagt: „Mein liebes Kind, wen 
hätte dann ich? Du bist noch mein Trost. Du wirst ja nicht 
sterben wollen!" — Das Kind antwortet: „Liebe Mutter, 
Gott muß Euer Trost sein; vertrauet nur ihm! Wisset Ihr 
nicht, wie wir singen: „„Weil du mein Gott und Tröster bist, 
dein Kind du wirst verlassen nicht?" " Lasset nur den Herrn 
20* 
»
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.