Full text: Neuer christlicher Kinderfreund

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prächtiger Häuser, wogender Schiffe und geschäftiger Men¬ 
schen gekommen war, fiel ihm sogleich ein großes und schö¬ 
nes Hauö in die Augen, wie er auf seiner ganzen Wan¬ 
derschaft von Tuttlingen bis nach Amsterdam noch keines 
erlebt hatte. Lange betrachtete er mit Verwunderung dies 
kostbare Gebäude, die sechs Kamine auf dem Dache, die 
schönen Gesimse und die hohen Fenster, größer als an dcS 
Vaters Haus daheim die Thür. Endlich konnte er sich 
nicht entbrechen, einen Vorübergehenden anzureden. „Guter 
Freund," redete er ihn an, „könnt Ihr mir nicht sagen, wie 
der Herr heißt, dem dieses wunderschöne Haus gehört, mit 
den Fenstern voll Tulipanen, Sternenblumen und Levkojen?" 
— Der Mann aber, der vermuthlich etwas Wichtiges zu 
thun hatte und zum Unglück grade so Viel von der deut¬ 
schen Sprache verstand, als der Fragende von der holländi¬ 
schen, nämlich Nichts, sagte kurz und schnauzig: „Kannit- 
verstan!" und schnurrte vorüber. Dicö war ein holländi¬ 
sches Wort! oder drei, wenn man's recht betrachtet, und heißt 
auf deutsch so Viel, als: Ich kann Euch nich t verstehen. 
Aber der gute Fremdling glaubte, es sei der Name des 
Mannes, nach dem er gefragt hatte. Das muß ein grund¬ 
reicher Mann sein, der Herr Kannitvcrstan, dachte er und 
ging weiter. Gaff' aus Gaff' ein kam er endlich an den 
Meerbusen, der da heißt: Het Ey, oder auf deutsch: das 
Ypsylon. Da stand nun Schiff an Schiff und Mastbaum 
an Mastbaum; und er wußte anfänglich Nicht, wie er eS 
mit seinen zwei einzigen Augen durchfechten werde, alle diese 
Merkwürdigkeiten genug zu sehen und zu betrachten, bis 
endlich ein großes Schiff seine Aufmerksamkeit auf sich zog, 
das vor Kurzem aus Ostindien angelangt war, und jetzt 
eben ausgeladen wurde. Schon standen ganze Reihen von 
Kisten und Ballen auf und neben einander am Land. Noch 
immer wurden mehrere herausgewälzt, und Fässer voll Zucker 
und Kaffee, voll Reiß und Pfeffer, und andere Herrlich¬ 
keiten. Als er aber lange zugesehen hatte, fragte er end¬ 
lich Einen^ der eben eine Kiste auf der Achsel heraustrug, 
wie der glückliche Mann heiße, dem das Meer alle diese 
Waaren an das Land bringe. „Kannitverstan!" war 
die Antwort. Da dachte er: Haha, schaut's da heraus? 
Kein Wunder, wem das Meer solche Reichthümer an daS 
Land schwemmt, der hat gut solche Häuser in die Welt stel¬ 
len und solcherlei Tulipanen vor die Fenster in vergoldeten 
Scherben. Jetzt ging er wieder zurück, und stellte eine recht
	        
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