Erste Abtheilung 
A u f s a tz e 
zur Belebung und Verfeinerung des Lesetones und des sittlichen 
Gefühles *). 
«^)err Richard hatte die Freude, beim Antritte seines Schulamtes 
wohlunterrichtete Kinder zu finden. In allen Stücken war er mit 
ihnen zufrieden; nur ihr Leseton mißfiel ihm ganz. Zwar setzten sie 
nach Anleitung der Scheidezeichen richtig ab und sprachen auch die 
Wörter ziemlich rein und deutlich aus; aber alles gieng in^ Einem 
Tacte und Tone fort. Da war kein Steigen, kein Fallen der Stimme; 
die Frage klang wie die Antwort, der Ton der Freude wie der Ton 
des Kummers, der Ton der Schmeichelei wie der Ton der Drohung, 
so daß man wirklich in Zweifel gerieth, ob die Kinder auch ver¬ 
ständen und fühlten, was sie lasen. 
Herr Richard machte daher sogleich Anstalt, dem Fehler abzu¬ 
helfen; aber es hielt schwerer, als er vermuthet hatte. Vergebens 
las er mit dem gehörigen Wechsel der Stimme vor; vergebens er¬ 
mahnte er zur Nachahmung. Keines der Kinder wagte den Versuch. 
Jedes schämte sich alberner Weise vor dem andern. Ein solcher 
Wechsel des Lesetones gehöre nach ihrer Meinung bloß in die Kirche 
für den Pfarrer und Schullehrer. 
Das Haupthinderniß war indeß ihre lächerliche Blödigkeit. Dieß 
brachte Herrn Richard auf den Entschluß, die ersten Versuche im 
Schönlesen bei Kindern unter vier Augen ;u machen. Er ließ 
daher ein Mädchen, das ihm das feinste Gefühl, die reinste Stimme, 
die geübtesten Sprachwerkzeuge und die meiste Dreistigkeit zu haben 
schien, allein zu sich kommen, und zu seiner nicht geringen Freude 
*) Stoff zu Lehrgesprächen über diese Aussätze enthält der 1. Band des Hand¬ 
buchs zum Denkfr. von S. 1—308 der 2. Aust. 
Schlez Devkfreund. 
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