30 
niedriges Gehölz, und kommen nur vorsichtig heraus, um auf dem Felde 
zu grasen. Sumpfige Gegenden gefallen ihnen so wenig, als stelle Berge, 
heiße Länder so wenig, als ganz kalte. Deßhalb findet sich das Reh 
auch vorzugsweise in Deutschland, und seine List und Schnelligkeit haben 
es bisher vor Ausrottung bewahrt. Doch schießen ordentliche Jäger auch 
nicht leicht eine Rehgeis, besonders nicht zu der Zeit, wo sie Junge 
hat, sondern nur Böcke oder junge Thiere. In manchen Gegenden 
aber locken die Wilddiebe durch Locktöne alle Arten von Rehen an sich 
und schießen sie ohne Unterschied nieder. Die Bauern sind darüber frei¬ 
lich nicht sehr verdrießlich, weil die Rehe Klee, Rüben u. dgl. von den 
Äckern fressen, auch wohl Obstbäumchen verderben. Auch in den Wäl¬ 
dern, besonders an jungen Lärchen thun sie Schaden. Allein es wäre 
doch auch traurig, wenn man alle Thiere, welche einmal mit dem Men¬ 
schen eine Mahlzeit halten wollen, sogleich vertilgen wollte! Die Welt 
ist ja nicht blos um unsertwillen geschaffen worden. Was aber die Rehe 
betrifft, so gewähren sie auch wieder Bortheil durch ihr äußerst zartes 
Fleisch, durch ihre Haut, woraus Handschuhe und durch ihr behaartes 
Fell, woraus Fußteppiche verfertigt werden! Auch das Gehörn wird zu 
Mefferstielen, Pseifenröhren u. dgl. verarbeitet. Der Schaden, welchen die 
Rehe thun, ist auch dadurch weniger beträchtlich, weil sic nur familien¬ 
weise beisammen leben, nicht in Nudeln, wie die Hirsche. Der Bock 
nimmt sich nämlich, gegen die Gewohnheit anderer Wiederkäuer, seiner 
2 Jungen an, und ist beim Austreten aus dem Walde der vorderste, 
beim Flüchten der hinderste; auch die mütterliche Zärtlichkeit der Geis 
ist musterhaft. Durch dieses Leben in Familien werden auch die Kämpfe 
unter den Männchen vermieden, wenn jedoch die Jungen 8 bis 9 Mo¬ 
nate alt sind, so treibt sie der Vater von sich, damit sie ihren eigenen 
Haushalt anfangen. Das Alter der Rehe schätzt man auf 16 Jahre. 
21. Die Gemse. 
Die Gemse ist die einzige in Europa einheimische Antilopenart, von 
der Größe und auch beinahe von der Gestalt einer Ziege und der brau¬ 
nen Farbe eines jungen Rehs. Man würde weniger von ihr reden, 
wenn sie nicht der Gegenstand der leidenschaftlichsten Jagd der Schweizer 
und Tyroler wäre. Denn sie ist ein harmloses Thier, welches die Ge¬ 
sellschaft der Menschen meidet, weder Schaden noch großen Nutzen bringt. 
Die Gemsen leben in den höchsten Gebirgen von Europa und Asien, 
auf den Alpen, Pyrenäen, dem Kaukasus u. s. w. Sie nähren sich von 
Alpenkräutern und den jungen Trieben der Erlen, Weiden nnd Nadel¬ 
holzbäume. Sie halten sich in Rudeln beisammen, sind äußerst wach¬ 
sam, sehen sich beständig um, und fliehen, wenn sie einen Feind wahr¬ 
nehmen in ungeheuren Sätzen mit der größten Schnelligkeit davon. Sie 
stellen Wachen aus, welche die anderen bei Annäherung der Gefahr durch 
einen pfeifenden Ton warnen. Ihre Feinde sind besonders der Mensch, 
und ein großer Raubvogel, der Lämmergeier. Dieser letztere sucht sie 
mit den Flügeln von den Felsenwänden in den Abgrund zu stürzen. Ihre 
Jagd ist für Menschen mit großen Gefahren verbunden, und die meisten 
Gemsenjäger büßen ihre Lust endlich mit dem Tode, indem sie in Ab¬ 
gründe stürzen, von Lawinen begraben werden, oder sich so versteigen, 
daß sie weder vor- noch rückwärts können.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.