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Anna Zurbuchen von Habchern im Berner Oberlande, wurde von 
ihren Eltern als bald dreijähriges Kind beim Einsammeln von Grummet 
mitgenommen, und legte sich nahe bei einer Scheune nieder. Bald 
schlummerte das Kind ein, der Vater bedeckte ihm das Gesicht mit einem 
Strohhnt, und ging seiner Arbeit nach. Als er kur; nachher mit einer 
Heubürde beladen zurückkehrte, war das Kind fort, und Eltern und 
Tbalbewohuer suchten es überall vergebens. Während dessen ging Hein¬ 
rich von Untersten auf einem wilden Pfade dem Wäggisbach nach, wo 
er zu seinem Erstaunen ein Kind schreien hörte. Mit schnellen Schritten 
eilt er dem Schalle nach, da erhob sich, von ihm aufgeschreckt, von einer 
kleinen Anhöhe ein Lämmergeier, und schwebte über den tiefen Abgrund 
hin. Am Rande dieses Abgrundes, in dessen Tiefe ein reißender Vach 
brauste, in den durch jede Bewegung das Kind hätte hinabstürzen können, 
fand Heinrich das Kind, welches keine andere Verwundung hatte, als am 
linken Arm und an der Hand, woran es wahrscheinlich gepackt worden 
war. Schuhe, Strümpfe und Käppchen waren verloren. Dieses geschah 
den 12. Juli 1768. Die Anhöhe, wo man das Kind fand, ist von 
jener Scheune, wo cs schlummerte, etwa 1400 Schritte entfernt. Das¬ 
selbe hieß fortan das Lämmergeier-Anni, und heirathete nachher einen 
Schneider, Peter Frutiger in Gwaltswpl, wo sie im Jahre 1814 noch lebte. 
Wegen der Ähnlichkeit uiit den Adlern heißt der Lämmergeier zu¬ 
weilen auch Geieradler. Indessen wird er wie alle größeren wilden Thiere 
von Jahr zu Jahr seltener. 
3®. Der Kuckuck. 
Kein Vogel wird wohl so oft gehört und so selten gesehen als 
der Kuckuck. Seilt Geschrei, wovon er den Namen tragt, erschallt in 
allen Wäldern und so laut, daß man oft glaubt, den Vogel in der 
Nähe zu haben, während er doch ganz entfernt sitzt. Allein zu Gesichte 
bekommt man ihn fast niemals, da er das Dickicht sucht und die Nähe 
der Menschen nicht liebt. Und doch achten die Menschen so gern auf 
seinen Ruf und sehen denselben nicht bloß als ein Zeichen des nahen¬ 
den Sommers an, sondern auch als eine Prophezeihung der noch zu 
durchlebenden Jahre. Wegen der Eigenthümlichkeit, seine Eier nicht 
selbst auszubrüten, sondern anderen Vögeln in die Nester zu legen, ist 
der Kuckuck verrufen. Allerdings ist cs im Reiche der Vögel etwas 
Unerhörtes, daß ein Weibchen seine Eier nicht selbst ausbrütet und 
seine Jungen nicht selbst versorgt, und zum Erempel soll man so lieb¬ 
lose Eltern nicht nehmen, allein der Schöpfer hat gleichwohl auch hier 
eine weisliche Einrichtung getroffen. Die Kuckucke sind nämlich die 
ärgsten Insektenfresser im ganzen Walde; von dem Morgen bis zum 
Abende suchen sie Rauben, Larven und Puppen, und können kaum 
ihren eigenen Hunger stillen. Wie bliebe ihnen da noch Zeit zu brüten 
und Futter für ihre Jungen zu suchen? Eher kann »ine Grasmücke 
oder eine Bachstelze, oder selbst ein Zaunkönig einen solchen jungen 
Fresser befriedigen, da die eigenen Jungen genügsamer sind, und der 
Kuckuck nicht mehr als ein Ei in ein fremdes Nest legt. Freilich drückt 
der grobe Gast bisweilen seine kleineren Geschwister aus dem für ihn 
gar nicht eingerichteten Neste. Allein die Liebe seiner Pflegeeltern bleibt
	        
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