Full text: Lesebuch für evangelisch-lutherische Schulen

und wir mit Danksagung empfayen gg 
„Ich reise schon mit Dir." Gleich am andern Morgen, sobald 
der Tag graute, wurde denn die schöne Reise angetreten, mit 
leichtem Blute und leichter Tasche. Denn meine ganze Baarschaft 
bestand nur in etlichen wenigen Groschen, und mein Reisegefährte 
hatte auch nicht viel mehr aufzuweisen. Durch das schone Thal 
hinauf, neben den Schnittern vorbei, welche das Korn mähten, 
wurde mir zwar die Zeit nicht lang, wohl aber der Magen: denn 
ich war heute noch ganz nüchtern und hatte gestern Abend auch 
nicht sonderlich viel gegessen. Ich klagte meine Roth meinem 
Reisegefährten, der sich klüglicherweise zu Hause satt gegessen und 
vor kurzem erst die letzten Brocken eines noch auf den Weg 
mitgenommenen Brodvorraths verzehrt hatte. Er deutete auf die 
Thürme eines vor uns liegenden, kleinen Städtleins hin und sagte 
tröstend zu mir: „Hier kannst Du das Beste haben, was Du nur 
verlangen magst." — Ich fragte: „Was ist wohl das Beste?" 
— Mein Kamerad sagte: „Das Beste ist ein guter, süßer Zwetsch-- 
keukuchen mit Rosinen, den man nirgends in der Welt so gut 
bäckt wie hier." Da wir ins Städtlein kamen, folgte ich der 
Weisurig meines Gefährten, kaufte urid aß für mehrere Dreier 
süßen Zwetschkenkuchen. Wir setzten unsere Reise fort über einen 
schönen Berg hinüber. Da wir oben zurrt Buchenwald heraus¬ 
traten, öffnete sich die Aussicht weit und hehr gegen Westerr über 
das fruchtbare Bvigtlarrd hinüber; die Augen rvollten weiter und 
weiter, die Füße wollten aber nicht weiter; mir war es auf den 
süßen Kuchen so weh zu Muthe geworden, als hätte ich gar nichts, 
ja noch weniger als nichts gegessen, denn ich hätte lieber wollen 
nüchtern sein, als so zum Schein gesättigt. Als wir jerrseitS des 
Berges wieder ins Thal kamen, schien die Mittagssonne gar heiß. 
Ich fühlte mich immer ermatteter und konnte nicht weiter. Ich 
blieb vor dem hölzernen Stege, der über den Bach führte, stehen, 
und mein Reisegefährte sagte, ich sähe sehr blaß auö. Da kam 
ein alter Bauersmann über den Steg herüber, sah mich so stehen 
und fragte, was dem Bürschlein fehle? Ich wußte ihm nichts 
zu sagen, als daß ich ganz matt sei und nicht weiter könne; denn 
Hunger fühlte ich auf den süßen Zwetschkeukuchen nicht mehr. Der 
Bauer sagte: „Ich weiß schon, was ihm fehlt; das Bürschlein 
ist gerade im stärksten Wachsthum und hat vermuthlich heute noch 
nichts Ordentliches gegessen; es hat Heißhunger." Darauf langte 
der alte Mann in seinen Sack und reichte mir ein Stücklein ziem¬ 
lich altbackenes, schwarzes Commisbrod. Ich aß bas und fand 
mich mit jedem Bissen so zusehends gestärkt und erquickt, daß ich 
bald gar nichts mehr von meiner Mattigkeit verspürte Der 
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