Full text: Lehr- und Lesebuch oder die Vaterlands- und Weltkunde

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von dem Pechdrathe des Schusters bis zu dem Zwirn der 
Nätherin, an die Leinwand von dem groben Packtuche bis 
zu dem feinsten Battist denkt. Zwar hat man in neuerer Zeit die 
ausländische Baumwolle vielfach an die Stelle des Flachses ge¬ 
setzt; aber das feinste und dauerhafteste Gewebe bleibt imMer die 
Leinwand. Der Hanf hat den Vorzug größerer Festigkeit und 
Dauerhaftigkeit, jedoch Feinheit und Schönheit bleibt auf der Seite 
der flächsenen (leinenen) Gespinnste. Und wieviele Personen finden Ar¬ 
beit und Verdienst bei der Behandlung dieser Leiden Gewächse! Der Bauer, 
welcher pflügt und säet, die Weiber, welche die Winterabende durch 
Spinnen und Haspeln kürzen, im Herbste brechen, schwingen und hecheln, 
im Sommer das gefertigte Tuch bleichen, die Weber, welche spulen, 
zetteln und weben, die Färber, welche dem Garn oder der Leinwand 
eine andere Farbe geben; alle haben ihren Vortheil von dem Anbau 
dieser Pflanzen, den Seiler noch nicht gerechnet. Dazu kommt, daß 
Hanf und Flachs öligen Samen bringen, welcher sich mannigfaltig 
benutzen läßt, der Hanf mehr als Futter für im Käfig gehaltene 
Vögel, der Lein aber zu Öl. Zwar hat das Leinöl nicht den guten 
Geschmack des Mohnöls, des Nußöls u. s. w.; allein zu Firniß und 
Ölfarbe ist es unter allen das brauchbarste. Und der Flachs trägt 
reichlich. Aus seinen blauen Blüthen bilden sich erbsengroße Knoten, 
in deren Fächern die platten Leinkörnchen in Menge sitzen. Wenn 
die Sonne die Knoten gesprengt hat, fallen die Körnchen meistens von 
selbst heraus, doch hilft man durch Dreschen noch nach. Obgleich die 
Arbeit bei dem Bau und der Zubereitung des Flachses nicht leicht ist, 
so herrscht doch gewöhnlich große Fröhlichkeit dabei, freilich bisweilen 
auch Leichtsinn, indem man bei dem Dörren mit dem Feuer nicht vor¬ 
sichtig umgeht. Es sind schon ganze Ortschaften dadurch in Feuers¬ 
noth gekommen. 
So groß die Ähnlichkeit in der Behandlung des Hanfes und Flachses 
ist, so ungleich sind die Pflanzen selbst. An dem Hanf ist alles 
größer und gröber, mannshohe Stengel, dickere, runde Samenkörner, 
widriger Geruch, unschöne Blüthe; an dem Flachs ist dies an¬ 
ders. Dennoch erträgt der letztere mehr Kälte und kommt in gerin¬ 
gerem Boden fort. Der beste Lein kommt aus Rußland, der beste 
Hanf aus Italien. Übrigens läßt sich aus Brennnesseln noch 
feinere Leinwand bereiten, als aus Flachs. Wäre es nur nicht so mühsam! 
63. Die Kartoffel. 
Bei der Kartoffel können wir auf unserer Wanderung durch das 
Pflanzenreich unmöglich vorübergehen, ohne sie ein wenig näher anzu¬ 
schauen. Die armen Irländer von 1840 könnten euch ein Liedlein 
singen von dem Werthe derselben; denn in diesem Jahre allein starben 
viele Tausende den Hungertod, weil du Kartoffel, wie in ganz 
Europa, besonders in ihrem Lande, mißrathen und krank geworden war. 
Auch unsere deutschen Brüder, die armen Weber in Schlesien, könnten
	        
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