Full text: Lehr- und Lesebuch oder die Vaterlands- und Weltkunde

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Im Frühjahr ist das Viehaustreiben, im Sommer die Wanderung 
auf die Waldweide die Freude und Belustigung der Bewohner dieser 
einsamen Berghütten und der Dörfer am Fuße des Gebirges. Um 
Johannis wird gewöhnlich das Vieh aus den Ställen „zu Berge ge¬ 
trieben". Beim Schalle langer, hölzerner Schallmeien, Hellahörner 
genannt, bet fröhlichem Gesänge und dem Geläute der Glocken, deren 
jedes Rind eine an einem verzierten Bügel am Halse trägt, treibt 
man die blöckenden Heerden zwischen Fichten und Tannen zu den Sommer¬ 
bauden in das Hochgebirge, welches nun 14 bis 15 Wochen lang 
von diesen fröhlichen Tönen wiederhallt. Das ist die Zeit der Ernte: 
da wird viel Butter und Käse gemacht für den eigenen Bedarf und für 
auswärtigen Absatz; vorzüglich lobt man die runden Kräuterkäse (Koppen¬ 
käse), denen ein gewürziges Pulver von Majoran, Thymian, Berg¬ 
salbei, Bergmünze, Steinklee und Schafgarbe beigemischt ist. 
Ein stets schneereicher Winter, welcher vom Oktober bis in den 
Mai dauert, verkürzt die Frühlings- und Herbstzcit auf wenige Wochen, 
wie in den Gegenden des hohen Nordens. Der Herbst selbst beginnt 
mit Frösten, welche auf den Gebirgsrücken meistens von Schneegestöber 
begleitet sind, während derselbe im Flachlande noch von feuchter, reg¬ 
nerischer Beschaffenheit ist. Auf den höchsten Gebirgsrücken schmilzt 
dann gewöhnlich der Schnee nicht mehr, und nur auf den niederen 
Abhängen und in den Thälern herrscht vor dem gänzlichen Einwintern 
noch einige Wochen der Wechsel von Frost und Thauwetter. Die an¬ 
gehäufte-Schneemasse, gewöhnlich die Höhe einer Klafter übersteigend, 
setzt dann die Baudner oft Wochen, ja Monate lang aus aller Ver¬ 
bindung mit den Thalbewohnern und macht den Verkehr schwierig, selbst 
lebensgefährlich. Oft müssen die Bewohner den Ein- und Ausgang 
durch die Dachluken oder den Schornstein suchen, die Richtung der ge¬ 
wöhnlichen Wege durch aufgesteckte lange Stangen bezeichnen und, falls 
ein Sterbefall in der Familie eintritt, die Leichen so lange im Schnee 
aufbewahren, bis das Thauwetter es ihnen erlaubt, sie hinab auf 
den Kirchhof ihres Ortes zu bringen. Diese großen Schneemaffen 
verursachen aber auch hier, wie in allen Hochgebirgen, an den steilen 
Lehnen häufige Schneestürze, die den Lawinen der Alpen ähn¬ 
lich sind; doch werden sie nicht so verderblich wie diese. Im 
Winter sind Schlittenfahrten, auf kleinen Handschlitten die Berg¬ 
abhänge hinab, ein gewöhnliches dem Anscheine nach halsbrechendes 
Vergnügen, dessen Gefahren aber die Kühnheit und Gewandtheit der 
Lenker leicht beseitigt. 
Während im Winter der Schnee die Baudner oft entsetzlich be¬ 
lästigt, erfahren sie im Sommer den häufigsten Wechsel von Nebel, 
Regen und heiterer Witterung mit Winden und Stürmen. Plötzlich 
ziehen Wolken zusammen und vertheilen sich wieder, einen lichten, bald 
zerrissenen, bald dichten und zusammenhängenden Schleier um die Gipfel 
der Berge ziehend. Schnell entstehen Windstöße von Norden und Südey 
und umgekehrt; unerwartet ergießen sich die heftigsten Regengüsse, und 
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