Full text: Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs

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Achte Periode. 
Studium der Philosophie und Rechtswissenschaft auf der Universität seiner 
Vaterstadt. Unstät schwankte er zwischen den verschiedensten Plänen, bis 
er Aufenthalt in der Schweiz nahm und Veranlassung fand, das Trauer¬ 
spiel „Familie Schroffenstein" zu dichten und das Lustspiel „Der zer¬ 
brochene Krug" zu entwerfen. In die Heimat zurückgekehrt, erlitt er viel 
Mißgeschick, wurde 1807 am Tore von Berlin gefangen genommen und 
als Spion nach Frankreich gebracht. Nach seiner Freilassung war er bis 
1809 in Dresden literarisch tätig; hier entstand sein bekanntes Ritterschau¬ 
spiel „Käthcheu von Heilbronn", ein echtes Kind der Romantik. 
Die Heldin Käthchen ist in treuherziger Selbstlosigkeit wie durch einen 
Liebeszauber gekettet an den Grafen Wetter vom Strahl, der über sie eine 
geheimnisvolle seelische Macht (Somnambulismus) ausübt. Von patrio¬ 
tischer Begeisterung getragene und dieselbe weckende Dramen sind „Hermanns- 
schlacht" und „Prinz Friedrich von Homburg". Der Inhalt des 
letzteren ist entnommen der Zeit des großen Kurfürsten. 
Im nachtwandelnden Zustande hat der Prinz Friedrich von Homburg in der 
Schlacht bei Fehrbellin (1675) wider den Befehl den Feind angegriffen und in 
heldenhafter Tapferkeit besiegt. Der große Kurfürst zieht ihn trotz seines Sieges 
zur Verantwortung vor ein Kriegsgericht und läßt ihn zum Tod verurteilen. Aus 
großer Zuversicht in die tiefste Entmutigung gestürzt, ist der Prinz bereit, eine 
ehrenkränkende Strafe aus sich zu nehmen und auf die geliebte Natalie, eine Nichte 
des Kurfürsten, zu verzichten. Als dieser ihn aber begnadigen will, wenn er selbst 
den Urteilsfpruch für ungerecht halten könne, weist er, zur vollen Pflichterkenntnis 
zurückgekehrt, die Begnadigung zurück und erwartet den Tod zur Ehrung des ver¬ 
letzten Kriegsgesetzes. Als so dem Gesetze Genugtuung geleistet ist, begnadigt der 
Kurfürst, trotzdem er vordem alle Bittgesuche abgelehnt hat, ihn nicht allein, sondern 
vermählt ihn auch mit seiner Nichte Natalie. 
Das Stück enthält, wenn auch das Schlafwandeln des Prinzen störend 
wirkt, scharf und fein gezeichnete Charaktere lebensvoller Ge¬ 
stalten und zeigt bei trefflicher dramatischer Steigerung einen wirkungs¬ 
vollen Ausgang. Diese Vorzüge und patriotische Gründe haben dem Stücke 
auch in der Schullektüre einen Platz angewiesen. 
Meisterschaft in prosaischer Erzählung bewies Kleist in 
„Michael Kohlhaas", enthaltend die Geschichte eines altmärkischen 
Roßkamms, wodurch er der Begründer der modernen Novelle wurde. 
Das drückende Elend des Vaterlandes, für das er sich in mehreren 
kräftigen und weihevollen Dichtungen erhebt (s. unten bei den Freiheits¬ 
dichtern), das Elend seines eigenen zerrissenen Innern bei dem Mangel 
einer Anerkennung seiner dichterischen Tätigkeit trieben ihn in den Tod. 
Er erschoß sich, geistig umdüstert, am 21. November 1811 am Wansee 
bei Berlin.
	        
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