Full text: Lesebuch für die evangelischen Volksschulen Württembergs

254 
verbreitete, daß irgendwo eine Kuh ein männliches Kalb von dieser 
Zeichnung geworfen habe, war das Land voll von Jubel, und Alle 
legten ihre schönsten Kleider an. Man brachte das Kalb, nachdem 
es vier Monate alt worden war, auf einem kostbar verzierten Schiffe 
nach der Hauptstadt Memphis, woselbst es einen Tempel und um 
denselben schöne Gärten mit frischem Brunnenwasser fand. Der 
Mann, von dessen Heerde der Apis kam, wurde für den glücklichsten 
unter den Sterblichen angesehn und von dem ganzen Volke mit Be¬ 
wunderung betrachtet. 
Zwar fehlte es der Religion der Egypter nicht an Keimen der 
Wahrheit, wie sie z. B. an eine Fortdauer des Menschen nach dem 
Tode glaubten, und der Verehrung der Thierwelt mag ursprünglich eine 
sinnliche Beobachtung der Thiere und des Nutzens oder Schadens, wel¬ 
chen sie den Menschen brachten, zu Grunde gelegen haben. Aber der 
allmählich daraus entstandene Thierdienst zeigt deutlich, daß eine solche 
Religion ihre Bekenner weder weiser noch besser gemacht, sondern 
vielmehr den Geist des Volkes in finsterem Aberglauben gefangen ge¬ 
halten habe. Sie glaubten, ihren Göttern nicht durch Heiligkeit der 
Gesinnung und des Lebens, sondern nur durch Opfer und äußerliche 
Gebräuche beim Gottesdienst gefallen zu müssen; ja es gab gottes¬ 
dienstliche Gebräuche, bei denen sogar unsittliche Geberden und Hand¬ 
lungen in der Meinung verübt wurden, daß man damit seine Ehr¬ 
furcht für die Gottheit beweise. 
Wenn das Land durch das Uebermaß der Hitze dürre lag, oder 
wenn die Pest oder sonst ein allgemeines Uebel das Land heimsuchte, so 
führten die Priester etliche der Thiere, in denen sie ihre Götter verehr¬ 
ten, an einen abgesonderten Ort, woselbst sie ihnen zuerst die Noth 
des Landes vorstellten, Abhülfe verlangten und sie ernstlich.bedrohe- 
ten, wofern diese nicht erfolgen würde. Wenn dann nach einiger 
Zeit keine Aenderung zum Besseren eintrat, so tödteten die Priester 
dieselben Thiere, welche sie zu ihren Göttern gemacht hatten. — Wie 
hoch stand doch nicht das Volk Israel über dem vielgepriesenen Egyp- 
tervolk durch seine Erkenntniß des wahren Gottes! Und dennoch 
konnte es sich immer wieder von diesem seinem Gott, dem Schöpfer 
und Herrn Himmels und der Erde, abwenden und den läppischen Stier¬ 
dienst in Aufrichtung goldener Kälber nachäffen! — (2 Most 32. 
1 Kön. 12, 28 ff.) „Mich, die lebendige Quelle", so muß der Herr 
(Jer. 2, 13.) klagen, „verlassen sie, und machen ihnen hie und da aus¬ 
gehauene Brunnen, die doch löchricht sind und kein Wasser geben!" —
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.