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geschriebenen Gesetz wurde Siecht gesprochen, und das römische Recht und die gelehrten
Richter, die am Ende dieses Zeitraums anskamen, wurden mit Widerwillen aufgenommen.
Das Land war in Aemter getheilt; in dem Hauptorte des Landes wohnte der Vogt;
der Vorsteher der Dorfgemeinde war der Schultheiß; an vielen Orten durfte auch
der Büttel eine kleine Strafe ansetzen. Die „Laudschreiberei" und die „Keller" hatten
die Einkünfte des Landes einzuziehen und zu verrechnen. Gab es einen Krieg, so
zogen die Ritter mit ihren Mannen, die Vögte mit ihren Bürgern aus; stehende
Heere gab es nicht.
Die Zahl der Kirchen und der Geistlichen, besonders aber die der Klöster und
anderer frommer Stiftungen wurde immer größer. Die Geistlichkeit war größteutheils
unwissend und unwürdig, viele Klöster zuchtlos.
Im geselligen Leben herrschte viel Munterkeit und Frohsinn. Aufwand in Klei¬
dung, in Hochzeitgeschenken u. s. w., Ausgelassenheit und Unsittlichkcit, Trinksucht
und Spielsucht veranlaßten manche Klage. Zu den damaligen Gewohnheiten ge¬
hörte auch die, warm zu baden, und in jedem bedeutenderen Orte war eine Bad-
nnd Schwitzstnbe, was um so wohlthältiger war, als man damals wollene Hem¬
den zu tragen pflegte.
In diesem ganzen Zeitraum gab es noch keine Volksschule; bloß in Klöstern
wurde einiger Jugendunterricht ertheilt. Noch zur Zeit Graf Eberhards im Bart
konnten die meisten Richter in Stuttgart weder lesen noch schreiben. Erst die Reformation
förderte den Volksunterricht; die erste deutsche Schule zu Stuttgart wurde 1535 er¬
richtet, d. h. unmittelbar nach der Einführung der Reformation in unserem Lande.
Die Wissenschaften wurden nur tu den Klöstern gepflegt; aber die Dichtkunst
erfreute Jedermann, Hoch und Niedrig, und an Sonn- und Festtagen hielten, zumal
in der Stadt Ulm, Meister und Gesellen „Singschnlen" in den Kirchen und
stellten dabei dichterische Wettkampfe an. Auch andere Künste, wie Malerei, Bild-
schnitzerei und Baukunst, blieben nicht zurück. Martin Schaffner, Daniel Schühlein
und Bartholomäus Zeitblom von Min und Hans Baldung von Gmünd waren aus¬
gezeichnete Maler, Hans Wild von Ulm ein angesehener Glasmaler, Georg Syrlin,
Vater und Sohn, von Söflingen, waren treffliche Bildhauer, die Böblinger in E߬
lingen berühmte Baumeister. Die Hochaltäre zu Blaubeuren und Creglingen, die
kunstreichen Sakramenthäuschen und die Bildschnitzwerke über den Thürmen mancher
Kirchen, die Altar- und Wandgemälde und die prächtigen Glassenster in denselben
geben noch heute Zeugniß von der Kunstfertigkeit jener Jahrhunderte, und von der
Geschicklichkeit der Baukünftler reden noch die Kirchen zu Reutlingen, Hall, Heilbronn,
die Klöster und Klosterkirchen zu Maulbronn, Herrenalb, Alpirsbach, Bebenhausen
und andern Orten, namentlich aber die Münsterkirche zu Ulm und die Frauenkirche
zu Eßlingen.
Gewerbe und Handel wurden von verschiedenen Innungen oder Zünften, beson¬
ders in den freien Reichsstädten, lebhaft betrieben; so die Weberei in Linnen, Wolle
und Baumwolle zu Ulm, Biberach und Ravensburg. Für Landwirthschast, besonders
für Weinbau und Obstzucht, geschah viel von den Klöstern ans. Das Geld war
viel seltener, als jetzt. Im Jahr 1282 kostete ein Scheffel Kernen vier und zwanzig
Kreuzer, ein Scheffel Roggen sechzehn Kreuzer. Im Jahr 1426 galt ein Scheffel
Dinkel nur fünf Kreuzer und ein Eumr Wein dreizehn Kreuzer, und selbst in der
theuren Zeit 1457 kam ein Scheffel Dinkel nicht höher als drei und fünfzig Kreuzer.
Auch das Holz stand im Preise sehr nieder. Zu Anfang des vierzehnten Jahr-