358
Knäblein lesen und schreiben, die zehn Gebote, den Kinderglauben, das Vater¬
unser, neben der Sprachlehre und christlichen Gesängen, sein fleißig und schleu¬
nig gelernet. Sein Vater hat ihn, da er noch gar klein gewesen, oft selbst in
die Schule getragen und dem Schulmeister vertrauet. Dieser muß auch gar-
streng gewesen sein; Luther sagt: „Ich bin einmal Vormittags in der Schule
fünfzehnmal nach einander wacker gestrichen worden." — Hernach, da Marti-
nus in sein vierzehntes Jahr ging, hat ihn sein Vater gen Magdeburg in die
Schule gesandt, welche damals vor vielen andern weit berühmt war. Daselbst
ist dieser Knabe, wie manches ehrlichen und wohlhabenden Mannes Kind, nach
Brod gegangen und hat vor den Bürgerhäusern gesungen. Was groß soll
werden, muß klein angehen; und wenn die Kinder zärtlich und
herrlich erzogen werden, schadet es ihnen ihr Leben lang. —
Auf folgendes Jahr har Martin, auf Befehl seiner Eltern, sich nach Eisenach
begeben, wo er seiner Mutter Freundschaft hatte. Als er daselbst nun eine
Zeit lang vor den Thüren sein Brod ersang, nahm ihn eine andächtige Frali,
Namens Cotta, an ihren Tisch, dieweil sie, um seines Singens und herzlichen
Gebetes willen in der Kirche, sehnliche Zuneigung zu ihm trug. „Darum
verachte mir nicht die Gesellen", sagte Luther später, „die vor den Thüren den
Brodreigen singen; ich bin auch solcher gewesen und Habs vor den Häusern
genommen, sonderlich zu Eisenach, in meiner lieben Stadt; wie wohl mich her¬
nach mein lieber Vater mit aller Liebe und Treue in der hohen Schule zu
Erfurt hlelt, und durch seinen sauern Schweiß und Arbeit dahin geholfen hat,
dahin ich kommen bin. Aber dennoch bin ich ein Singknabe gewesen und nun
dahin kommen, daß ich jetzt nicht wollt mit dem türkischen Kaiser tauschen, daß
ich sein Gut sollt haben und »reiner Kunst entbehren. Ja, ich wollte der Welt
Gut, vielmal gehäuft, nicht dafür nehnren!" — In der Schule zu Eisenach
fand Luther einen Lehrer, Johannes Trebonius, der die Sprachlehre besser
lehrete, als sonst der Brauch war; und da Luther eines sehr guten Verstandes
und sonderlich geneigt zum Wohlreden gewesen, hat er alsbald angefangen, in
seinen Schriften alle Worte wohl zu setzen und ein Ding weitläuftig zu han¬
deln, und ist also in diesem Stück, und auch in lateinischen Versen zu schreiben,
seinen Gespielen bald weit überlegen gewesen. In freien Stunden übt er sich
im Drechseln, im Gesang und im Spielen auf der Flöte und der Laute. Da er
nun gemerkt hat, wie ein lieblich Ding es sei Uttl die Lehre, hat er alsbald aus
brünstiger Begierde zum Lernen -Lust zur hohen Schule bekommen, dieweil er¬
hielt, daß aus derselbigen als aus einem Brunnquell alle Künste herflössen.
Im Jahr 1501 senden ihn seine lieben Eltern, nachdem er gegen vier Jahre in
Eisenach zugebracht, auf die hohe Schule zu Erfurt, welche damals in solchem
Ansehen war, daß alle andern dagegen für Schützenschulen angesehen wurden.
Hier fängt Luther an, die Sprachen und Wissenschaften nebst den freien Künsten
mit großem Ernst und besonderem Fleiß gründlich zu studiren. Wiewohl er
von Natur ein hurtiger und fröhlicher Geselle war, fing er doch alle Morgen
sein Lernen mit herzlichem Gebet an; wie denn dies sein Sprichwort gewesen:
„fleißig gebetet ist über die Hälfte studtrt." Er versäumt keine
Lektion, fragt gerne seine Lehrer und bespricht sich in aller Ehrerbietigkeit mit
ihnen. „Daneben", sagt Melanchthon, „liest er fleißig die vornehmsten alten
lateinischen Schriften, und zwar also, daß er nicht allein die Worte daraus