Full text: Für die Oberklassen (Theil 2)

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genau, und man soll seinen Nächsten ja nicht verläugnen!“ — 
Und wieder schwieg er, sah ernst in das bleiche Gesicht des 
Grenzjägers, und als dieser meinte, jetzt werde der Streich des 
Nachrichters fallen -— da wehte in des Tagelöhners Brust die 
Gnade mit dem weissen Tuche und er sagte: „Ja, ich kenne 
diesen Mann genau! — Es ist der Verwalter Seifert!“- 
und hiermit ging er an seinen Karren zurück und fuhr das 
dürre Holz getrost nach Hause. Der Wachtmeister aber steckte 
den schweren Beutel wieder in die Tasche, und liess den Grenz¬ 
jäger ruhig seines Weges gehen. — Und das war gut, denn so 
blieben sie alle drei reicher 1 Christoph Ernst Freiherr t. Houwald. 
78. Altes Gold. 
82. „Wie die Alten sungen, so zwitschern auch die 
Jungen," sagt ein altes inhaltsschweres Sprüchlein. Hört hier 
eine Geschichte dazu. 
Zu Hilgenbach (ich glaub', es liegt nicht weit von Altenkirchen 
und war vormals Nassau -Siegenisch und jetzt ist's Preußisch) lebte 
vor etwa siebenzig bis achtzig Jahren ein junges Ehepaar, bie hatten 
noch ihren alten Vater (von der Frau her) zu ernähren. T)er Greis 
wurde immer schwächer, denn er stand da, wovon's heißt: „Wenn's 
hoch kommt, so sind's achtzig," und zitterte mit den Händen, daß 
er den Eßlöffel nicht mehr zum Munde bringen konnte, ohne die 
Suppe zu verschütten. Gute Kinder hätten's dem alten Vater löffel¬ 
weis gegeben und ihn mit Geduld der Liebe wie ein Kind gefüttert; 
aber so machten's die Hilgenbacher Kinder nicht. Weil sie sich ekelten, 
setzten sie den armen, alten Vater hinter den Ofen, wo er essen mußte; 
aber seine Kniee zitterten so sehr, und doch sollte der irdene Teller darauf 
stehen! Da kam's denn oft, daß der Teller mit sammt der Suppe 
herabfiel. Da zankte die gottvergessene Tochter, und der saubere Schwie¬ 
gersohn meinte, sie hätten ja noch die hölzerne Schüssel, worin das 
Hühnerfutter gestanden hätte, die solle sie säubern und ihm geben, 
weil sie doch nicht zerbräche, wenn sie chm von den Knieen fiele. 
Das leuchtete der Tochter des Greises ein und sie holte sie und schüt¬ 
tete chm seine Suppe hinein. Der Greis seufzte und aß. — 
Das Ehepaar hatte ein Büblein, das etwa sechs bis sieben Jahre 
alt war, das hatte sich dieß gemerkt, ging vom Tische in die Scheune, 
wo des Vaters Schnitzbank stand, nahm ein Stück Holz und fing 
an zu schnitzeln. Die Aeltern wußten nicht, wo das Kind war, kamen 
eS zu suchen, und sahen, wie es an dem Holze arbeitete. 
„Was willst du denn machen, Jaköbchen?" ftagte die Mutter. 
„Ei," sagte daS Kind, „ein Trögelchen, auS dem ihr essen sollet, 
wenn ihr alt seid!" —
	        
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