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92 Geschichte.
leute unter ihnen, aber diese lebten mit dem Volke auf freundlichem
Fuße. Die sogenannten Waldstädte Schwyz, Uri, Unterwalden
lebten in völliger Unabhängigkeit unter einer aus ihrer Mitte ge¬
wählten Obrigkeit, anderen Spitze derLandamann oder Schultheiß
stand. Nur den Kaiser erkannten sie als obersten Schutzherrn an
und ehrten die Vögte, die er bei wichtigen Veranlassungen zu
ihnen sandte, ohne ihnen einen Einfluß auf die Gemeindeangele¬
genheiten zu gestatten. Rudolph hatte diese Schutzherrschaft zum
Wohle des Volkes geführt, ihre Rechte geachtet; aber Albrecht
wollte die Schweizer gänzlich zu seinen Unterthanen machen, diese
Rechte aufheben, um dadurch die Macht seines Hauses zu ver¬
größern. Doch die Schweizer wollten bei den von den Vorfahren
ererbtert Rechten und beim Reiche bleiben. Da ward der Kaiser
zornig und gab ihnen Vögte, harte, böse Leute, die sie so lange
quälen sollten, bis sie sich seinem Wunsche fügen würden. Her¬
mann Geßler und Landenberg thaten, was des Reiches Vögte
bisher nie gethan — sie wohnten im Lande, bauten feste Burgen,
warfen freie Leute wegen geringer Vergehen in finstre Kerker und
legten unerschwingliche Zölle auf. Das ganze Volk und selbst die
Edelen wurden verachtet und verhöhnt. Einem wohlhabenden
Manne zu Schwyz, Stauffacher, wollte Geßler wehren, ein Haus
auf eignen Grund und Boden nach Belieben zu bauen. Landen¬
berg strafte einen aus Unterwalden, Melchthal, wegen geringen
Fehlers um ein Paar schöne Ochsen, und sein Knecht sprach dabei
höhnisch: „Wenn die Bauern Brot essen wollen, mögen sie sich
selbst vor den Pflug spannen." Arnold, Melchthals Sohn, gerietst
über solche harte Rede in heftigen Zorn, suchte den Knecht des
Vogtes abzuwehren und zerschlug im Handgemenge demselben zwei
Finger — dann floh er ins Gebirge. Landenberg ließ dem alten
Vater beide Augen ausstechen, weil dieser seinen Sohn nicht zur Stelle
schaffen konnte. Niemand war seiner Habe, seines Lebens mehr
sicher. Wiederholt schickten die Schweizer Abgeordnete an den
Kaiser und baten flehentlich um Milderung der Noth; umsonst!
Da kamen drei edle Männer, Walther Fürst zu Attinghausen,
Werner Stauffacher und Arnold Melchthal zusammen, sich zu be¬
rathen, was zu thun sei, um der Noth ein Ende zu machen. Sie
entschlossen sich, mehre vertraute herzhafte Männer zu Rathe zu
ziehen, und im Herbst 1307 brachte jeder zehn andere in das ein¬
same Thal Rütli am Vierwaldstädter See. Hier, umschlossen von
einem ehrwürdigen Kranze lOOjähriger Buchen und Linden, erhoben
alle gerührt ihre Hände zum gestirnten Himmel und schwuren
Freundschaft und Beistand auf Leben und Tod, Treue dem Kaiser,
Vertreibung der Vögte, jedoch ohne Blutvergießen, und Erhaltung
der theuren von den Vätern empfangenen Freiheit.