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hörten, daß ich noch lebte, und doch keine Hilfe wußten, wurde ihr
Jammer noch größer. Ich aber sank, da mir keine Hilfe erschien, in
meine vorige Betäubung zurück.
An Rath fehlte es nicht, denn Jedermann gab den seinigen;
aber es zeigte sich immer gleich, daß nicht viel damit anzufangen war.
Sie versuchten Stricke hinabzulassen; aber diese erreichten mich nicht,
Stangen noch weniger. Und wie hätte ich mich an einer Stange oder
an einem Stricke festhalten können, ohne in einer solchen Höhe wieder
hinabzugleiten? Endlich hatten sie doch einen alten Bergmann herbei¬
gerufen, der etwas besser Bescheid wußte. Er fing damit an, die
Oesfnung behutsam zu erweitern, schasste dann eine Winde herbei, an
die er einen Eimer befestigte; aber so sehr man auch eilte, ging doch
viele Zeit hin. Aengstlich sahen die Umstehenden den Zurüstungen zu.
Viele beteten laut, und in den fürchterlichsten Augenblicken der Besin¬
nung, die von Zeit zu Zeit meine Ohnmacht unterbrachen, hörte ich
einzelne Worte von Sterbeliedern und Gebeten in Todesgefahr, die ich
nur allzuwohl aus meinem Gesangbuche kannte. Endlich war die
Winde aufgestellt, der Eimer befestigt, und der alte Mann stieg, mit
einem Lichte auf der Mütze, in den Eimer, nachdem er vorher erklärt
hatte, es könne ja sein, daß er mich beim Hinabfahren mit fortreiße.
Langsam und vorsichtig wurde der Eimer hinabgewunden. Ich sah
das brennende Licht, und es war mir, als ob ein Stern vom Him¬
mel zu mir herabstiege und Hilfe brächte. Ueber mir war Todtenstille.
Ohne zu wissen, was ich that, drückte ich mich, so sehr ich konnte, an
die feuchte Wand, von der sich kleines Gestein ablöste und wiederhal¬
lend in die Tiefe rollte. Mein ängstliches Stöhnen bezeichnete den
Ort, wo ich mich befand. Jetzt fing der Mann an, mir Trost zuzu¬
sprechen, er hoffte mich nun mit Gottes Hilfe zu retten; ich sollte nur
nicht verzagen. Schon sah ich den Eimer über mir schweben, dann
näher und immer näher; aber die Oesfnung war so eng, daß er nicht
neben mir vorbei konnte. Mein Retter gab also ein Zeichen, daß
man oben mit dem Winden inne halten solle, und reichte mir einen
Strick mit einer Schlinge; in diese griff ich hinein und hob mich ein
wenig in die Höhe. Schon konnte ich mit einer Hand den schweben¬
den Eimer berühren, dann auch mit der andern. In diesem Augen¬
blicke rissen die Fäden, an denen ich bis jetzt so wunderbar gehangen hatte.
Der Eimer schwankte, aber ich hing schon an den Händen meines
Retters. Er hob mich zu sich hinein und rief: „Dankt Gott da oben;
ich habe das Kind!" Ich saß nun auf dem Schooße des Bergmanns
in dem Eimer, und als dieser hinaufgewunden wurde, war das Erste,
was mir einfiel, da ich mich in Sicherheit sah, der schöne Krug, der
mir beim Hinabfallen aus den Händen geglitten war. Ich fing an,
bitterlich zu weinen. „Was weinst du denn, Kind?" sagte der alte
Mann; „es hat nun keine Gefahr mehr: wird sind gleich oben." —