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zu ziehen. Die Bauern leisteten in diesem Falle Wagendienst; sie konnten
auch in Friedenszeiten zum Dienst bei Burg- und Brückenbauten heran¬
gezogen werden. Einnahmen erwuchsen dem Lehnschulzen aus der niederen
Gerichtsbarkeit, die er als Beamter des Markgrafen ausübte; desgleichen
lag ihm die Dorf- und Flurpolizei und das Einziehen der markgräflichen
Einnahmen ob. Die höhere Gerichtsbarkeit, insbesondere das Recht über
Leben und Tod, behielt sich der Markgraf selbst vor. Geschah die Dorf¬
gründung durch einen Ritter, so übernahm dieser die Pflichten und Rechte
eines Lehnschulzen und ließ das Amt durch einen Bauern, den „Setz¬
schulzen", verwalten.
3. Fragen wir nun weiter: Woher stammen die Ansiedler, die mit
eisernem Fleiß, mit ernster Arbeit den verwilderten Boden kulturfähig
machten? Helmold, der Pfarrer zu Vosau am Pläner See, ein Zeit¬
genosse Heinrichs des Löwen und Albrechts des Bären, hat uns hierüber
einen Bericht hinterlassen. Er schreibt über die Kolonisation Albrechts
des Bären: „Zuletzt, als die Slawen allmählich verschwanden, schickte er
nach Utrecht und den Rheingegenden, ferner zu denen, die vom Meere
zu leiden hatten, nämlich an die Holländer, Seeländer und Flanderer,
und führte von dort ein großes Volk herbei und ließ es wohnen in den
Burgen und Flecken der Slawen. Durch ankommende Fremdlinge aber
wurden auch die Bistümer Brandenburg und Havelberg sehr gehoben,
weil die Kirchen sich mehrten und die Zehnten zu einem ungeheuren Be¬
trage erwuchsen. Aber auch das südliche Elbufer begannen zu derselben
Zeit die Holländer Gäste zu bewohnen; von der Stadt Soltwedel an alles
Sumpfland und alles Ackerland, das Balsamerland und das Marsciner-
land, viele Städte und Flecken bis zum Böhmerwald hin nahmen die
Holländer in Besitz." Die betriebsamen Holländer machten Wollen¬
weberei und Backsteinbau heimisch und verstanden, Sumpf- und Moor¬
land zu entwässern. Friedrich Wieuecke.
29. Urteil Kaiser Wilhelms II. über den Großen Kurfürsten.
Zerstampfte Saaten, verwüstete Fluren, niedergebrannte Dörfer, Krank¬
heit, Not und Elend, so sah es in der sandigen Mark aus, als der im
ersten Jünglingsalter stehende junge Kurprinz durch den plötzlichen Tod
seines Vaters an die Spitze der Regierung berufen wurde. Fürwahr,
keine beneidenswerte Erbschaft, eine Aufgabe, die eines gereiften, ausge¬
wachsenen, mit allen Verhältnissen vertrauten Mannes bedurft hätte und
für ihn fast zu schwer gewesen wäre. Unverzagt trat der Jüngling an diese
Ausgabe heran, und mit wunderbarer Geschicklichkeit gelang es ihm, dieselbe
zu lösen. Mit eiserner Energie, das Ziel vor Augen, das er sich einmal
gesetzt, durch nichts sich ablenken lassend, hat der Kurfürst sein Land empor-
Dcutsches Lesebuch für Mittelschulen. Teil III3. 1912. 6