Full text: Theoretisch-praktisches Handbuch für den Anschauungsunterricht

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mit der Betrachtung von Dingen zu verlieren, welche der Schüler entweder 
schon genugsam kennt, oder deren Kenntniß siir die Zukunft ohne Nutzen 
ist oder im täglichen Leben hinreichend und früh genug gewonnen wird. 
Wie sich mit dem Borstellungsvermögen auch die Sprache ausbildet, 
ist schon oben erwähnt. Aus dem Folgenden aber muß erhellen, daß auch 
die gemüthbildende Seite des Anschauungsunterrichts von sehr großer 
Wichtigkeit ist. 
Es fragt sich nämlich, woher soll der Stoff zum Anschauungsunterrichte 
genommen werden? Vergegenwärtigt man sich die Bildungsstufe, auf welcher 
die Kinder stehen, wenn sie zum ersten Male das Schulzimmer betreten, so 
ergiebt sich der bisherige Erfahrungskreis des Schülers, das Gebiet 
des sinnlichen Vorftellungsvermögens als nächste Borrathskammer des 
Anschauungsunterrichtes. Somit wäre man gleich an die Einbildungskraft 
verwiesen, denn das elterliche Haus mit seiner nächsten Umgebung ist bisher 
der Schauplatz des Kindes gewesen. Da eö aber eine leichtere Stufe des 
Anschauungsunterrichtes ist, das im Momente des Unterrichtes den Sinnen 
Vorgeführte zu betrachten, so nimmt man am passendsten den ersten Stoff 
aus dem gegenwärtigen Anschauungskrcise des Schülers, aus der 
Schule. 
Wer Kinder beobachtet hat, die zum ersten Mal an einem Orte sind, 
wie sie forschend und prüfend um sich blicken, wie sie untersuchend den 
Raum durchwandern, das Neue betrachten und das Unbekannte prüfend und 
sinnend umkreisen, der wird die Wahl dieses ersten Stoffes nur natürlich 
finden und billigen können. Es liegt, richtig betrieben, eine Zuvorkommen¬ 
heit darin, daß der Lehrer mit den neuen Schülern betrachtend und be¬ 
lehrend das Schulzimmer durchwandert, dieselbe Zuvorkommenheit, mit 
welcher der Hausherr seinen Gästen Wohnung und Garten zeigt. Ueberdies 
ist es eine Forderung, die mau an Jeden stellt, daß er seine nächste Um¬ 
gebung, die leblose sowohl als die lebendige, kennt, theils damit er sein 
Benehmen danach einrichten und zur Behaglichkeit kommen kann, theils damit 
er von da aus sich weiter zu orientiren im Stande ist. Wenn schon der 
Reisende die Zimmer durchforscht und untersucht, in denen er doch nur Tage 
oder Wochen zuzubringen gedenkt, so so sollten doch wohl unsere Schüler den 
Ort kennen lernen, der ihnen Jahre lang zum täglichen Aufenthalt bestimmt 
ist. Man braucht von der Wahl der Schule und ihrer Geräthe zur ersten 
Betrachtung und Besprechung nicht zu besorgen, daß sie die Kinder nicht aus 
der Furcht vor der Schule — welche ihnen von Eltern und Geschwistern 
nicht selten wegen ihres Muthwillens als Schreckbild und Scheuche hin¬ 
gestellt wird — herauskommen lasse, daß sie ihnen lange Zeit von allen Seiten 
gleichsam nur das Kreuz zeige, an welches geschlagen zu werden sie fürchten. 
Mit größerer Schärfe und mit mehr Wahrheit könnte man sagen, 
daß dies der einzige Weg sei, die Popanzvorstellung und das Mißtrauen, 
wenn es vorhanden, zu beseitigen. Nimmt nicht auch der Vater sein Kind 
bei der Hand und führt es dem Baume zu, den es in der Dämmerung 
für einen drohenden Mann gehalten hat? Wie es keine treffendere Weise 
giebt, thörichtem Aberglauben Grund und Boden zu nehmen, so giebt es 
auch kein passenderes Mittel, die Furcht vor der Schule und das Mißtrauen 
gegen den Lehrer zu beseitigen, als genaue Bekanntschaft mit beiden. 
Man lasse sich also durch solche Urtheile nicht beirren, sondern nehme 
als ersten Stoff des Anschauungsunterrichts die Schule mit ihrem Inhalte.
	        
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