Full text: Theoretisch-praktisches Handbuch für den Anschauungsunterricht

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die kleinen Blätter kann man bei etwas Vorsicht entfalten. Seht nur! — 
Jetzt zeige ich euch eine dritte Bohne. Seht, das kegelförmige Ende hat 
mehrere derbe Fasern getrieben, sie bilden eine deutliche Wurzel. Die Blätter 
sind diesmal leicht zu entfalten, und zwischen Wurzel und Blatt hat sich ein 
kleiner artiger Stamm gebildet. Kurz, diesmal haben wir schon eine sehr 
deutliche Pflanze vor uns, die aus dem Keime entstanden ist. Jetzt wißt ihr 
auch, daß das kegelförmige Ende in den beiden andern Bohnen nichts Anderes 
als die werdende Wurzel ist, daß das entgegengesetzte Ende aber aus den in 
Entwickelung begriffenen Blättern besteht. Der ganze Keine ist im Grunde 
nichts Anderes als eine fertige Pflanze, die nur in feuchte Erde zu legen ist, 
wenn sie wachsen soll. — Sucht nun auch den Keim aufzusinden in einer 
trocknen Bohne! *) — 
Jetzt merkt euch Folgendes: Die Bohne selbst mit allem Zubehör ist 
der Same. Die lederartige Haut nennt man die Samenhülle, auch 
Samenhaut. Was von dieser Samenhaut eingeschlosien wird, nennt man 
den Samenkern, die beiden großen Lappen aber Eiweiß. Ihr fragt: 
Eiweiß? Warum das, sollt ihr sogleich erfahren. Hier habe ich eine 
Pflanze, eine Bohne. Die beiden ersten Blätter sind schon recht groß, Wur¬ 
zel und Stengel gleichfalls. An der Mitte des Stengels sind die beiden 
Samenlappen, aber wie eingeschrumpft! und anfänglich waren sie doch so 
straff! Merkt euch! Der Keim ist noch eine zu zarte Pflanze, als daß er 
ohne Weiteres in der bloßen Erde wachsen könnte. Ein Lanim kann auch 
nicht gleich Gras oder Hcn fressen, sondern bekömmt erst Nahrung vom Mut¬ 
terschaf. Der Keim bekömmt seine erste Nahrung aus den Keimblättern, 
später erst treibt er Wurzeln in die Erde und nimmt die Nahrung aus dem 
Erdreich. Etwas Aehnliches seht ihr in dem Ei eines Huhns. Das Auge 
im Ei ist der Keim des künftigen Vogels. Durch die Brutwärme wird die¬ 
ser Vogelkeim nach und nach ein Thier, wird immer größer und bildet sich 
zum Küchlein aus. Wo ist aber nun das Weiße im Ei geblieben? Wir 
können nur eine Antwort auf diese Frage geben: Das Eiweiß diente zur 
Ernährung des Küchleins, so lange eö im Ei war. Nun enthalten die bei¬ 
den Lappen in der Bohne freilich kein Eiweiß in der Weise, wie das Ei des 
Huhns, aber in dem Wachsen des Pflanzen- und Thierkeimö ist doch eine 
große Aehnlichkeit, sie sind beide von der Außenwelt abgeschlossen und erhal¬ 
ten ihre erste Nahrung aus ihrer Umgebung. Könnt ihr nun begreifen, 
weßhalb wohl die beiden Lappen den Namen Eiweiß führen? 
Der Same besteht also aus drei Theilen, der Samenhaut, 
dem Eiweiß und dem Keime.**) 
Noch bemerkt ihr an der innern Seite der Bohne einen kleinen Fleck. 
Derselbe bezeichnet die Stelle, an welcher die Bohne mit der Hülse zusam¬ 
menhing. Diesen kleinen Fleck nennt man den Nabel oder Keimsteñ. 
DaS Eiweiß der Bohne besteht aus zwei Lappen. Seht euch aber dies 
Weizenkorn an, es keimt, hat aber nur einen einzigen Eiwcißkörper. Alle 
Gräser haben nur einen Eiweißkö'rper. Die Bohne wächs't nicht nackt an der 
*) Sehr deutlich zeigt sich der Keim als bereits entwickeltes Pflanzenindividuum 
im reifen Samen des Pfaffenhütchens (Evonymus europaeus). Der Lehrer thut 
wohl, wenn er den Schülern diesen Samen zeigt. 
**) Bei den Cruciferen ist der Eiwcißkorpcr nicht selbständig, sondern mit 
den dicken Keimblättern dergestalt durchwachsen, daß hier nur zwei Theile, Samen¬ 
haut und Keim, zu unterscheiden sind, z. B. Rapssamen.
	        
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