Full text: Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus

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an ihre verlorne Kuh. Dann klopfte es leise an, die Thür öffnete 
sich, und es trat ein Mann herein und sagte: „Seht, ein guter 
Alaun schickt euch diese Kuh und diese Sacke mit freundlichem 
Gruße." Da erschrak sie, und ehe sie fragen und danken konnte, 
war der Mann mit seinem Gefährten schon verschwunden; die Knh 
aber stand an einen Baum gebunden, sic war schwarz und weiß 
gefleckt und weit schöner, als die verlorene. Jauchzend führten die 
Kinder sie in den Stall und trugen mit Mühe das Korn in die 
Hütte; die Mntter weinte heimlich. ’ Am andern Morgen kam der 
Geber, ein Meier, selbst zn der Witwe linb sagte: „Ihr habt ge- 
stern dem Herrn eure Thränen dargebracht, dafür hat er ench ge¬ 
tröstet. Ich war ihm schon lange ein Opfer meines Dankes schul¬ 
dig für seinen reichlichen Segen. Seid so gnt und nehmt es ohne 
Dank an, als eine Schuld, die ich gern abtrage. Ich danke dem 
Herrn, daß er in der Kirche mein Herz erweckt hat, euch zn helfen." 
28. Wie einem der Sonntag so weh thut, wenn man ihn nicht 
hat. 
Nach Amerika ists gar weit und wer dahin will, muß mehr 
als einen Sonntag unterwegs bleiben. Dorthin zogen vor einigen 
Jahren vom Rheine her zwei Bauersleute, denen es in der Heimat 
nicht mehr wohl gefiel. Unb sie waren schon wochenlang mitten 
auf dem Weltmeere, wo man feinen grünen Wald sieht und keinen 
Kornacker, und des Morgens kräht fein Hahn, und des Mittags 
bläst kein Hirte, und wenn manchmal ein Vogel sich zeigt, so ists 
keine Schwalbe, die den lieben Sommer verkündigt, auch keine 
Lerche, die einem auf dem Felde singen hilft im goldenen Sonnen¬ 
schein, sondern ein Sturmvogel, der ein bös und brausend Wetter 
ansagt. Auch hat rúan da keinen festen Boden unter den Füßen, 
wie hinter dem Pfluge, fonbevn das wankt und schwankt in einem 
fort, nnb cs wird einem an Leib und Seel' sterbenüweh dabei. So 
gehtö alle Tage, und droben sieht man nur ben unendlichen Him¬ 
mel und bviinten daö weite, weite Gewässer, und die Sonne hat 
kein trocken Plätzchen, wo sie abends sieh hinlegen kann, sondern 
geht inö Meer zu Bett und steht ans dem Meer wieder auf. 
Nun gefielen zwar anfänglich unsern zwei Landsleuten die 
Mecreöwunder nicht wenig, denn alles Neue lockt und reizt des 
Menschen Herz. Aber wie cs alle Tage dasselbe gab und kein 
Ende nehmen wollte, ward ihr Muth gar geringe, lind sie saßen 
oft bei einander oben auf dem Schiffsboden und sahen mit trübse¬ 
ligen Blicken hinunter in die See und hinaus, wo sie hergekom¬ 
men waren. Also saßen sie einstmals auch wieder beisammen dro¬ 
ben auf dem Verdeck an einem Sonntagmorgen. Da sagte der 
eine: „Jetzt ist daheim im Dorfe auch Sonntag; die Glocke ist 
neun, und es läutet zur Kirche, und alle Menschen gehen hinein; 
unser Herr Pfarrer hat den Chorrock an und der Herr Schulleh¬ 
rer sitzt auf der Orgel." Da sagte der andere: „Ich hättö mein
	        
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