Full text: Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus

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kennen zu lernen. Er ging mit bis an des Landmanns Haus. 
Da sprangen ihm zwei Kinder barfuß, aber gesund und fröhlich 
entgegen und riefen: Vater! hast du uns Kirschen mitgebracht? — 
Die ganze Tasche voll antwortete er. Da waren die Kinder voll 
Freude, liefen hinein zur Mutter und riefen: Mutter, weißt du 
was Neues? Der Vater ist da und hat uns Kirschen mitgebracht, 
Kirschen eine ganze Tasche voll. Da kam ihm seine Frau mit 
fröhlichem Gesichte entgegen und sagte: Kömmst du, lieber Mann? 
eS ist dir gewiß recht sauer geworden. Die Sonne hat sehr ge¬ 
stochen. Geh hinein und iß; ich will dein Pferd in den Stall 
bringen; Heu habe ich ihm schon aufgesteckt. •— Aber der Mann 
ließ es nicht;u, sondern führte sein Pferd selbst in den Statt und 
schirrte cs ab. Dann ging er nach der Stube zu und fragte Herrn 
Fielding, ob er wolle sein Gast sein. Ficldiug nahm die Einladung 
an. Er mußte sich bücken, als er zur Stubenthür einging, so nie¬ 
drig war sic. Die Stube selbst war einfach, aber nett geweißt. 
Sie hatte zwei niedrige Fenster mit kleinen, aber hellen blankge¬ 
putzten Scheiben. Statt eines Sofas stand eine hölzerne Bank da 
und auch die übrigen Möbeln waren ebenfalls von geringem Wer¬ 
the und sehr einfach, aber alles war nett ltitb sauber. Der Tisch 
war mit einem reinen blau und weiß gestreiften Tuche bedeckt und 
mit einer irdenen Schale voll Milch, in welche Brot gebrockt war, 
etlichen hölzernen Tellern, hölzernen Löffeln, einem Stücke Butter, 
einigen Käsen und einem schwarzen Brote, wohl zwanzig Pfund 
schwer, besetzt. Komm, lieber Balzcr, setz dich, sagte die freundliche 
und reinliche Frau, laß dir es gut schmecken, du hast heute einen 
fernern Tag gehabt. Und er setzte sieh und neben ihn Fielding, 
dem man einen blechernen Löffel anbot um zu essen. Er nahm ihn 
zitternd, denn sein Lebtage hatte er noch keinen blechernen Löffel in 
den Händen gehabt, tunkte ihn in die Schale und konnte sich kaum 
entschließen, ihn in den Mund zu nehmen. Da er aber sah, wie 
gut eö allen schmeckte, versuchte er es doch, und cs schmeckte ihm auch 
aut. Der Ackermann uub seine Familid schienen während des Es¬ 
sens vergnügter als die reichsten Leute zu sein. Fielding saß in 
tiefen Gedanken über alles, was er da sah und sagte endlich zu 
seinem Wirte: Lieber Freilud, er scheint recht glücklich zu fein! — 
Das bin ich auch, sagte dieser. Ich bin gesund, habe ein gutes 
Gewissen, habe Brot, Milch, Butter lind Käse; meine Frau und 
Killder haben mich lieb. Sollte ich mich nun nicht für glücklich 
halten? - 
Fielding ging gleichsam beschämt fort, dankte herrlich für die 
genossene Mahlzeit und dachte bei sich selbst: Bin ich nicht ein rech¬ 
ter Thor, daß ich glaubte, ich müßte so viel haben, um glücklich zu 
sein? — Dieser Mann hatte ja von dem allen nichts, was ich 
wünsche, und war doch so glücklich, so fröhlich, als ich vielleicht nie 
werde. Du willst heilte anfangen, glücklich zu leben, willst das 
Wenige, was du hast, genießen, damit zufrieden fein und dich nicht
	        
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