Full text: Deutsches Lese-, Lehr- und Sprachbuch für Schule und Haus

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ncm Schuhpfriem, der guten Nachbarn nicht einmal zu gedenken, die ich 
zu Hülfe nehmen könnte, wenn ich wollte." — „Nun, das ist brav! 
Man siehts, ihr seid im Felde gewesen und fürchtet euch vor keinem 
Feinde — außer vielleicht vor dem, der, wenn er ausgetrieben ist, oft 
mit sieben ärgern wiederkehrt." — „Ich weiß schon, we» sie meinen, 
Herr Pfarrer! Der hat mich wohl in meinen jungen Tagen viel ange¬ 
fochten ; aber ich Habs ihm dafür späterhin eingetränkt, daß er das Wie¬ 
derkommen vergißt! Er muß die Lieder nicht leiben können, die ich singe, 
denn wenn er manchmal mit seinen Schmerzen ankommen will, so ver¬ 
treibt ihn gleich ein: „Hilf, Helfer, hilf in Angst und Noth", oder: 
„Kämpfe bis aufs Blut und Leben! Dring hinein in Gottes Reich! 
Will der Satan widerstreben, werde weder matt noch weich!" — „Das 
muß wahr sein, ihr verstehts, Meister Simon! Und manchem, der sich 
heilig glaubt, könnts nicht schaden, wenn er bei euch das Christenthum 
noch einmal lernte! Da kann man allerdings zufrieden sein, wenn man 
Gott zum Freunde und Christum zum Helfer hat, und sich leicht darin 
ergeben, wenn die lustigen Tage mangeln." — „Herr Pfarrer, die hab 
ich so gut, wie einer, und es geht kein Tag vorbei, an dem ich neben 
der Zufriedenheit nicht auch meine Lust und Freude hätte, freilich nicht 
im Wirtshause bei Flöten und Violinen und vollen Glqsern, wiewohl 
auch manchmal ein Gläschen an mich kommt •— sondern wenn ich mei¬ 
nen guten Nachbarn vorerzähle vom großen Fritz und unsern Thaten, 
oder wenn ich ihren Kinder» meine geistliche» und tveltlichen Lieder vor¬ 
singe und sie mit einstimmen; oder wenn mir meine Kammermusici vor¬ 
spielen, die mir nichts kosten, als etliche Brotkrumen, die ich ihnen täg¬ 
lich vors Fenster streue. So bin ich denn immer froh und guter Dinge, 
und ich habe seit meiner Eltern Tod — und das ist lange her — nur 
zwei traurige Tage gehabt; einmal, da eine feindllche Kugel mir den be¬ 
sten Kameraden von meiner Seite weg- und niederpfiff, und das andere 
Mal, da der Doktor mein getroffenes Bein untersuchte und darauf sagte, 
ich müßte jetzt zu den Invaliden." 
Da kams dem Pfarrer ein wenig naß in die Augen und er sagte: 
„Guter Alter, wie glücklich seid ihr, und wie gerne will ich noch von 
euch lernen, wie man dieses Glücks theilhaftig wird. Kommt doch näch¬ 
sten Sonntag zum Mittagsessen zu mir; ich möchte noch viel mit 
euch reden." — „Großen Dank, Herr Pfarrer! Wenn Sieö so haben 
wollen, will ich gern kommen." Und wer nun alle Sonn- und Fest¬ 
tage zum Herrn Pfarrer zum Essen mußte, das war Simon Fladde, 
und wer oft morgens und abends im Vorbeigehen bei Simon Fladde 
einkehrte, das war der Herr Pfarrer; und wer bei solchen gegenseitigen 
Besuchen das meiste profitierte, wird nicht schwer abzunehmen sein. So 
viel ist gewiß, daß des letztern Predigten allmählich zwar an Ueberstu- 
diertheit und Vollgeschmücktheit abnahmen, aber dafür an Einfachheit und 
Kraft zunahmen, und daß die Leute gerade darum immer lieber in die 
Kirche gingen, und bald der Raum daselbst zu enge werden wollte. Und 
wenn dem Herrn Pfarrer zuweilen durch Verdrießlichkeiten im Hause oder 
Amte der gute Muth und die Freudigkeit fast ausgehen wollte, so nahm
	        
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