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VI. Würmer.
41. Der Regenwurm.
Es giebt verschiedene Arten des Regenwurms. Jedermann kennt
den bei uns einheimischen. Doch mit einer einzigen Form ist die
Natur nie zufrieden; sie liebt die Mannigfaltigkeit und spiegelt sich gern
in ihren Geschöpfen bald in der Farbe, bald in der Größe, bald in
der Lebensweise verschieden ab. Selbst diese Wurmgattung bestätigt
solches Streben; wohl fünfzehn verschiedene Abarten kennen wir,
und wie viele mögen noch von niemandem beobachtet worden sein!
Einige solcher Arten findet man an den Seeküsten im Sande oft so
häufig, daß sie allgemein als Köder bei dem Fischfang dienen. Bei
uns ist noch eine Art sehr häufig: der Wasserregenwurm. Er
hält sich vornehmlich im Schlamm der Teiche, Moräste und Sumpf¬
gräben auf und ist, rein im Wasser abgespült, ein wirklich schöner
Wurm, karmoisinroth, ins Grünliche spielend, anderthalb Zoll lang;
eine Lockspeise der Enten und Schwäne und sicher auch der Fische, der
Frösche rc. Die Fähigkeit des gewöhnlichen Regenwurms, sich zu er¬
gänzen, wenn er zerschnitten wird, so daß aus zwei Hälften zwei voll¬
kommene, neue Würmer werden, ist dem Wasserregenwurme im möglichst
großen Maßstabe eigen. Ein Naturforscher (I. A. Götze) sagt darüber:
„An diesem Wurme habe ich Wunder gesehen, wobei ich anfänglich
meinen Augen nicht traute! Wenn ich ihn in Stücke zerschnitt, so
wuchs aus jedem Stücke wieder ein ganzer Wurm mit Kopf und Schwanz,
und wenn ich den Wurm in 26 Stücke theilte, so wurde aus einem
Sechsundzwanzigtheile binnen einigen Monaten wieder ein ganz voll¬
ständiger Wurm von vollkommener Länge!" — Aber wie merkwürdig!
Der Regenwurm hat auch eine Menge Würmer in sich selbst. So gut
wie der Mensch und alle größeren Thiere von Würmern geplagt wer¬
den, die in ihren Gedärmen und Eingeweiden sich aufhalten, so sollte
auch der Regenwurm noch solchem Schmarotzerwesen in seinem
Darmkanale ein Plätzchen übrig lassen. Allerdings sieht sie das bloße
Auge nicht, wenn man einen Regenwurm geöffnet hat; aber bringt
man aus der Flüssigkeit, die in seinem Innern enthalten ist, ein Tröpf¬
chen, mit etwas Wasser verdünnt, unter das Vergrößerungsglas,
so ist auch sogleich der Beweis gegeben. Selbst zwischen der Haut und
seinem Fleische muß der Regenwurm solche uns unsichtbare Gäste näh¬
ren ! Und wahrscheinlich werden auch diese Thierlein wieder von solchen
verborgenen Feinden heimgesucht, denn das Leben in der Natur geht
ins Unendliche, und in den allerwenigsten Fällen ist die ihm gesteckte
Grenze von Menschen zu ermitteln.
Kann man wohl denken, daß sich von einem scheinbar allge¬
mein bekannten, aber verachteten, verfolgten Wurme so viel Wunder¬
bares berichten ließe? Ja, man sieht daraus, wie die Natur auch
in ihren niedrigsten Geschöpfen darthut, daß eine Weisheit ohne Gleichen