Full text: Vollständiges Lehr- und Lesebuch für die oberen Klassen katholischer Volksschulen

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hatte ihn gestärkt, daß er auch ohne vorherige Uebung schwim¬ 
men konnte. 
Ein andermal fuhr St. Nikolaus auf einem Schiff. Es ent¬ 
stand ein heftiger Sturm, und die Wellen schlugen bis in das Fahr¬ 
zeug. Da verzagten die Schiffer, und weil sie sich doch für ver¬ 
loren hielten, so wollten sie nicht mehr arbeiten. Aber der heilige 
Nikolaus faßte ein Ruder und befahl auch den Uebrigen, wieder zu 
rudern. „Wenn wir das Unsrige thun," sprach er, „so wird Gott 
helfen. Laßt uns beten und arbeiten." Und die Schiffer thaten, wie 
er befohlen hatte, und das Schiff mit Allen, die darin waren, wurde 
gerettet. Seitdem rufen die Schiffer, wenn sie in Noth kommen, 
den heiligen Nikolaus um Beistand an. 
Einst war Hungersnoth in der Stadt und der ganzen Um¬ 
gegend. Es war kein Brod mehr zu bekommen, und wenn man 
eine Hand voll Geld dafür gegeben hätte. Da wollte das Volk 
verzweifeln, und sie sprachen zu dem Bischof: „Siehst du, daß 
Gottes Hülfe ausbleibt." Sankt Nikolaus aber nahm ein Schiff¬ 
chen, und fuhr so lange, bis er in ein Land kam, wo es mehr ge¬ 
regnet hatte und wo Getreide im Ueberflusse gewachsen war. Dort 
sah er einen Bäcker an seinem Laden stehen. „Lieber Mann," 
sprach der Bischof, „habt ihr wohl so viel Getreide, um ein Schiff 
damit beladen zu können?" „O ja," antwortete der Bäcker, „wohl 
noch mehr." „O dann erbarmt euch um Christi willen und bringt 
ein Schiff voll Getreide in meine Stadt, wir sterben sonst 
Hungers." Der Bäcker ließ sich rühren, und versprach, so schnell 
als möglich das Schiff zu beladen. „Aber was ihr von Backwerk 
im Laden habt, das gebt mir, damit ich nach Hause eile und es den 
hungrigen Kindern bringe; die Erwachsenen können warten, bis 
das große Schiff kommt." Der Bäcker gab ihm zwei Körbe 
voll Wecken, Bretzeln, Brödchen und was er nur hatte; und 
Sankt Nikolaus ruderte nun auf's schnellste nach Hause. Da kann 
man sich die Freude vorstellen, mit welcher ihm die Kinder auf 
den Straßen entgegenliefen und seine Gaben empfingen. Seit¬ 
dem ist es gewöhnlich, daß man am Sankt Nikolaustage den 
artigen Kindern Etwas schenkt. Die unartigen aber erhalten eine 
Ruthe. 
68. St. Christoph. 
An einem tiefen, reißenden Strom, über welchen weder eine Brücke, 
noch ein Nachen führte, stand eine armselige Hütte. Der Bewohner der¬ 
selben war ein Heide von riesenhafter Größe, welcher früher als Soldat 
gedient hatte, nun aber sich damit beschäftigte, die Reisenden auf seinen 
Schultern über den Strom zu tragen. Trotz seines wilden Aussehens war 
dieser Riese ein äußerst gutmüthiger Mensch. Wenn ein Armer kam, dem 
es schwer hielt, ihm seinen kleinen Traglohn zu bezahlen, so trug er ihn 
umsonst hinüber; wenn in der Nacht ein Wanderer erschien, und Christoph 
— so nannte man den Riesen späterhin — im tiefsten Schlaf lag, so 
sprang er doch auf den ersten Ruf von seinem Lager auf, ergriff seinen
	        
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