Full text: [Abt. 2 = 6. Schulj, [Schülerband]] (Abt. 2 = 6. Schulj, [Schülerband])

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liegt, an dessen Fuß die Landstraße, in Felsen gehauen, sich vor¬ 
überzieht, sollte nun des andern Tages der tote Fremde begraben 
werden. Eine unzählige Menge Menschen folgte dem Zuge. Sie 
waren aus allen benachbarten Dörfern gekommen; jeder wollte seine 
Unschuld, seine Trauer und seine Teilnahme bekunden. Still, ohne 
laute Klage, nur mit tiefem Weh im Herzen, bewegte sich der Zug 
den Berg hinan. Der Geistliche hielt eine ergreifende Rede. Zu¬ 
erst redete er den Entseelten an und sprach: 
„Auf dem Wege bist du gefallen. Wer weiß, wohin dein 
Herz sich sehnte, welches Herz dir entgegenschlug. Möge der, der 
alles kennt und alles heilt, Ruhe und Frieden in die Seele der 
Deinigen senden! Unbekannt bist du gefallen, von unbekannter 
Hand. Niemand weiß, woher du kamst, wohin du gingst; aber er, 
der deinen Eingang und Ausgang kennt, hat dich Bahnen hinauf¬ 
steigen lassen, die unser Auge nie mißt. Zu welcher Kirche du 
gehörtest, welche Sprache du redetest, wer mag den stummen 
Mund fragen? Du stehst jetzt vor ihm, der über allen Kirchen 
thront, den alle Sprachen nennen und doch nicht zu fassen ver¬ 
mögen." — „Erhebet mit mir eure Hände," fuhr der Geistliche zu 
den Versammelten fort, und alle hoben die Hände empor; dann 
sprach er wieder: „Wir heben unsere Hände zu Dir empor, o 
Allwissender! Sie sind rein von der Tat. Die Gerechtigkeit 
aber wird nicht ausbleiben. Wo du auch weilest, der du deinen 
Bruder in Waldesnacht erschlugst; das Schwert schwebt unsicht¬ 
bar über deinem Haupte, und es wird fallen und dich zer¬ 
schmettern. Kehr' um, solange es noch Zeit ist. Häufe nicht 
Frevel auf Frevel; denn einst, wenn sie ertönt, die Posaune des 
Gerichtes-- —" 
Da plötzlich hörte man von der Straße herauf das Post¬ 
horn erschallen. Das Lied erklang: „Denkst du daran!" — 
Alles schwieg und hielt den Atem an. — Aus der Mitte der 
Versammlung stürzte ein junger Mann nieder und rief: „Ich 
bin's!" — Nachdem man ihn aufgehoben, gestand er reumütig seine 
Tat, wie er in der Stadt das Geld des Herrn, bei dem er 
diente, verspielt habe; wie er den Fremden, den er nur nieder¬ 
werfen wollte, ermordet habe; wie das Posthorn ihn verwirrt, wie 
er seine Hand brennend gefühlt, als er sie zum Himmel erhob
	        
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