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barn dazu. Die Bibliotheken sind hier deswegen Kulturträger ersten
Ranges und sollten als solche überall gepflegt werden.
Neben den Volksbibliotheken sind neuerdings in Deutschland
nach dem Vorbilde englischer und nordamerikanischer Einrichtungen
öffentliche Lesehallen begründet worden. Volksbibliothek und Lese⸗
halle gehören naturgemäß zusammen und ergänzen einander.
J. Tews.
10. Aus Friedrich Perthes' Lehrjahren.
Das Jahr 1772 war ein schweres Jahr für Deutschland. Große
Teuerung und Hungersnot herrschten in den meisten Gegenden,
und bösartige Fieber machten die Runde. In diesem Jahre, dem
großen Hungerjahre, wie man es nannte, wurde Friedrich Chri—
stoph Perthes am 21. April zu Rudolstadt geboren. Nach dem
frühen Tode seines Vaters fand der siebenjährige Knabe in dem
Hause eines Oheims eine zweite Heimat. Damals noch unverhei⸗
ratet, hielt sein Oheim in Rudolstadt mit einer gleichfalls unver—
heirateten Schwester, Karoline Heubel, Haus. Diese war nicht
schön, aber von großer Kraft des Charakters. Anderen zu helfen
war sie stets bereit, aber sich von anderen helfen zu lassen, war ihr
noch im höchsten Alter unerträglich. Von diesem Geschwisterpaare
wurde der siebenjährige Knabe nicht nur aufgenommen, sondern
auch mit zärtlicher, wahrhaft elterlicher Liebe großgezogen. Die
Jugendeindrücke, die er durch sie empfing, geleiteten ihn durchs
Leben. Ihnen verdankte er bei einem sehr leicht erregbaren Tempera⸗
ment die Scheu vor allem Unsittlichen, ihnen den strengen Sinn
für die Rechte anderer, obschon ihm die Neigung zum durchgreifen—
den Handeln angeboren war.
Als Perthes konfirmiert und vierzehn Jahre alt geworden
war, mußte ein Beruf für ihn gewählt werden. Ihn studieren zu
lassen, war unmöglich; was man in Rudolstadt Kaufmann nannte,
wollte er nicht werden. Der jüngste Bruder seines Vaters, Justus
Perthes, war Verlagsbuchhändler in Gotha, und ihm ging es ziem—
lich gut; natürlich wurde nun für den Knaben an den Buchhändler
gedacht. Was das eigentlich war und was dazu gehörte, wußte er
zwar nicht, denn in Rudolstadt war keine Buchhandlung; aber daß
es da Bücher geben müsse, die man lesen könne, schien ihm doch ge—
wiß, und dies war für ihn entscheidend. Im Jahre 1786 nahm der
Buchdruckereibesitzer Sirach den vierzehnjährigen Knaben mit sich
zur Messe nach Leipzig, um dort einen Lehrherrn für ihn zu suchen.
Zuerst stellte er ihn Herrn Ruprecht aus Göttingen vor, einem
schon bejahrten Mann, der ihn freundlich anredete und sich „amo
von ihm konjugieren ließ, dann aber, als dies nicht ging, ihn nicht
Henschke, Deutsches Lesebuch. 5. Ausfl.